
Finnissy, Michael - Klavierkonzerte Nr. 4 & 6
Grenzgänge
Label/Verlag: Metier Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine kongeniale Interpretation Ian Paces der von Exzentrik geprägten Klavierwerke des Gegenwartskomponisten Michael Finnissy.
Sehr viele Kompositionen des 20. Jahrhunderts erfordern beim Hören eine gewisse Offenheit, ein Sich darauf Einlassen des Rezipienten, um verstanden zu werden. Einige darunter sind auch mit voller Absicht auf das Nicht-Verstehen hin ausgelegt. Jenseits von harmonischer Tonalität, fester Rhythmik, symmetrischer Bauten und erkennbarer Melodik bringen diese musikalischen Experimente ein oftmals irritierendes wie faszinierendes Klangerlebnis mit sich. Manche können damit nichts anfangen und lehnen das Gehörte dann als ´Anti-Musik´ ab, bei der man nicht merke, ob und wann sich jemand verspielt. Diesen sei nicht nur von der Klaviermusik des 1946 in London geborenen Michael Finnissy abgeraten, sondern auch von der weiteren Lektüre dieser Rezension.
Das Andere in der Musik
Bei Metier sind jetzt zwei CDs mit Einspielungen der Klavierkonzerte Nr. 4 & 6, der 15 Verdi-Transkriptionen sowie der Klavierstücke ´Snowdrift´ und ´To & Fro´ von Finnissy erschienen. Der englische Pianist Ian Pace stellt beim Vortrag dieser Stücke eindrucksvoll unter Beweis, dass er sich aufgrund seiner künstlerischen Integrität wohl am besten als Interpret für die Klaviermusik des derzeitigen Professors für Komposition an der Universität von Southampton eignet. Seine technische Klasse hat Pace, der sich auf die Musik der Moderne wie Postmoderne spezialisiert hat, auch dringend nötig. Denn nicht nur in den beiden Konzerten für Klavier Solo übersteigt der Schwierigkeitsgrad eigentlich die Grenzen des Spielbaren. Chromatisch durchsetzte Läufe von aberwitziger Schnelligkeit wechseln hier mit in die Tasten zu hämmernden Kaskaden, deren destruktiver Charakter durchaus manische Züge trägt. Die letzten viereinhalb Minuten des sechsten Klavierkonzerts bestehen aus einer nicht enden wollenden, schließlich doch im Nichts verebbenden Trillerkette. Die ersten 20 Minuten dagegen sind von anhaltender Statik in den höchsten bzw. tiefsten Lagen des Klaviers geprägt. Rechte und linke Hand spielen dabei meist gänzlich voneinander unabhängig Scheinendes. Klangliche Assoziationen zu Free Jazz wie dem Serialismus stellen sich ein.
Fest der Dissonanzen
Wie die Klavierkonzerte sind auch die 15 Transkriptionen einzelner Stücke aus Verdi-Opern zwischen 1972 und 1988 entstanden und in den Neunzigern teilweise überarbeitet worden. Finnissy wendet hier fast durchgehend ein Höchstmaß von Verfremdung an, weshalb es sich viel eher um Transformationen, um Umgestaltungen handelt, als um bloße Bearbeitungen im herkömmlichen Sinne. Das hat in der fünften Transkription einen ähnlich verblüffenden Effekt zur Folge, wie man ihn aus dem dritten Satz der Sinfonia Luciano Berios (1925-2003) kennt: In einen geräuschhaften Klangteppich eingewebt findet man das Septett mit Chor aus ´Ernani´, ´Vedi come il buon vegliardo...´. In der sich bruchlos anschließenden sechsten Bearbeitung der Barkarole ´Tace il vento, e queta l´onda´ aus ´I Due Foscari´ wiederum fällt es aufgrund der vielen gewaltsamen Staccato-Cluster sehr schwer, zu glauben, es handele sich dabei um eine Bearbeitung von Irgendetwas. Auch die sechsundzwanzigminütige, den Zyklus abschließende Bearbeitung der Arie, ´Tu che la vanita conoscesti´ aus dem fünften Akt von ´Don Carlo´ fasziniert zwar durch das Nachklingen einzeln angeschlagener Tönen während ausgedehnter Pausen. Doch das sich hieran anschließende, erneut von Klangtrauben im Fortissimo dominierte Restgeschehen wirkt in seiner Unbestimmtheit recht beliebig, zumal sich derartige Passagen in den hier vorliegenden Klavierwerken des öfteren anfinden.
Liebhaber exzentrischer Klaviermusik der letzten Jahrzehnte finden auf den beiden Cds sicher die eine oder andere Neuentdeckung, zumal Ian Pace den, leider nur englischsprachigen, sehr informativen Booklettext selbst verfasst hat und so eine fundierte Einführung in die Klaviermusik Finnissys bereitsteht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Finnissy, Michael: Klavierkonzerte Nr. 4 & 6 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Metier Records 2 25.02.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
5019148630920 |
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Metier Records 1992 gegruendet, hat METIER schnell einen Namen fuer eine augezeichnete moderne Repertoire- und Produktionsqualitaet erworben. Metier ist mittlerweile einer der wichtigsten Namen der heutigen klassischen Musik ? durch die Zusammenarbeit mit Tonkünstlern aus Grossbritannien, aber auch international mit grossen Komponisten der Welt wie Roberto Gerhard, Charles Ives, George Crumb, Walter Zimmermann, Georg Rochberg, unter anderen. Metier stellt eine breite Auswahl von musikalischen Stilen und Ideen der ganzen heutigen Komposition vor und schliesst eine grosse Zahl von wichtigen Weltpremieren, insbesondere der Komponisten, welche von den multinationalen Firmen vernachlaessigt werden, mit ein. Metier legt keinen grossen Wert auf schwaermerisches Werbematerial, Prominenten-Empfehlungen und falsche Versprechungen, die die moderne Reklame charakterisieren, sondern einfach auf kuenstlerische Qualitaet. Metier ist daher ein unentbehrlicher Name fuer serioese Sammler. Die Firma stellt in ihrer ?Re-appraisal? (Neubewertung) Serie auch Musik der Vergangenheit dar ? zum Beispiel Bach und Beethoven, aber mit neuen Herangehensweisen von hochrangigen Künstlern, deren Erfahrung und Innovationsgeist neue, faszinierende Interpretationen hervorbringen. METIER hat 12 ?CD of the Year? und ?Critic?s Choice? Preise gewonnen und wurde 2007 ein Teil der Divine Art Gruppe. Eine neue Serie von wichtigen modernen Werken ist im Werden, abermals von sehr positiver Kritik begleitet. Mehr Info... |
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