
Schulhoff, Erwin - Streichquartette Nr. 2 & op 25
Zwischen den Stühlen fegend
Label/Verlag: VMS Musical Treasures
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Comeback der in der Nazi-Zeit ,entartet' gelisteten Musik des tschechischen Komponisten vollzieht sich nach und nach. Das Prager Quartett schaut hier den vielen, mitunter schroffen Stilformen Schulhoffs ehrlich, brillant und beherzt ins Gesicht.
Es lohnt sich, bei ihm einzusteigen. Denn die Gefahr, der Musik des tschechischen Komponisten Erwin Schulhoff (1894-1942) schnell überdrüssig zu werden, ist denkbar klein. Erstens wird es vermutlich noch eine ganze Weile dauern, bis man auf dem Plattenmarkt oder im Konzertbetrieb von Schulhoff überschüttet wird, und zweitens hat man gut damit zu tun, dessen slawische Musiksprache aus dem frühen 20. Jahrhundert in all seinen verschiedenen Facetten zu erfassen und zu verinnerlichen. Anders gesagt: Entdecker sind bei Schulhoff goldrichtig.
Gemeinsam groß geworden
Die jungen Prager des Schulhoff Quartetts sind es in jedem Fall. Sie bevorzugen nicht nur Werke von ihrem Namenspatron, sondern überwiegend von tschechischen bzw. osteuropäischen Komponisten, die Opfer des Nazi-Regimes waren und deren Musik als ,entartet' gelistet und verboten wurde. Bei dieser unter ,VMS/Zappel Music' veröffentlichten CD-Aufnahme des zweiten und ,nullten' Streichquartetts spürt man, dass sie nicht nur an denselben kulturellen und sprachlichen Wurzeln wie Schulhoff herangereift sind und dessen Werke durchdrungen haben, sondern sich als Ensemble tatsächlich ,gemeinsam' in diese Musik hinein fallen lassen.
Das ist zwar im Streichquartettspiel ein absolutes Muss, bei Schulhoff aber bei weitem kein Kinderspiel. Die rhythmischen und technischen Vertracktheiten, die melodisch oft spröden Themen und all die tonalen Reibereien an sich sind schweißtreibend genug. Hinzu kommen aber hier zahlreiche, teils lange Unisono-Passagen, die für einen treffsicheren Effekt keinerlei Differenzen im Zusammenspiel und in der Intonation erlauben. Und genau dies beherrschen die Vier fabelhaft. Es zahlt sich offenbar aus, dass sie schon seit ihrer Schulzeit miteinander musizieren.
Zwei Werke - zwei Stile
Herzstück und ein echter ,Hinhörer' ist der Variationssatz des 2. Quartetts aus dem Jahr 1925, dessen melancholischen Schmelz im slawischen Tonfall das Ensemble wärmend ans Herz trägt und bei den folkloristischen Tanzmotiven ein erquickliches Jucken in die Beine schickt. Aber von purer Bierseligkeit ist weniger die Spur, vielmehr sind die Anklänge dieses Werks bittersüß bis fiebrig explosiv und können schon mal schmerzhafte Assoziationen wecken. Vorbilder und Lehrer wie Leoš Janáèek oder Max Reger tummeln sich vor dem geistigen Auge.
Im Vergleich dazu geradezu unbeschwert klingt dagegen das Streichquartett op. 25 aus dem Jahr 1918. Obwohl Schulhoff da gerade von der Kriegsfront zurückgekehrt war - nach vier Jahren, in denen all seine früheren Werte und Einstellungen auf den Kopf gestellt wurden und er sich dem Kommunismus zuwandte - könnte dieses Quartett ebenso gut von Josef Haydn in seinen kühnsten, scherzhaftesten Zeiten stammen. Vermutlich hat Schulhoff es vor dem Krieg begonnen und es nach seiner Rückkehr in seinem früheren Kompositionsstil vollendet. Auch hier zeigt sich, dass die vier Streicher auch an dieser Richtung ihre wahre Freude haben und ausgezeichnet erprobt sind. Sie genießen es spürbar, die klassischen Formen, Harmonien, Verzierungs- und Spieltechniken des 1. Satzes ,Frisch & kräftig' mit den schroffen, eruptiven Farbklecksern Schulhoffs zu besprengseln. Ihr warmer, emotionale Ton kommt besonders dem 2. Satz ,Langsam, getragen und ausdrucksvoll' zugute und zieht alle Sinne in seinen Bann. Im 3. Menuett-Satz wird der Sprung in die Wiener Hochklassik konsequent vollzogen und die Scherzo-Kultur Haydns zugespitzt, bevor das recht simple Rondothema im 4. Satz harmonisch in einem Affenzahn um den Quintenzirkel gejagt wird, dass man aus dem Grinsen quasi nicht mehr heraus kommt. Diese klanglichen und rhythmischen Dreistigkeiten kosten die Interpreten hörbar aus und man kann sich nur noch schwer vorstellen, dass es das Streichquartett, im Halbkreis sitzend, noch auf seinen Stühlen gehalten hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schulhoff, Erwin: Streichquartette Nr. 2 & op 25 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
VMS Musical Treasures 1 20.07.2007 |
Medium:
EAN: |
CD
9120012231801 |
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VMS Musical Treasures Gegründet: 2002 von Dieter Heuler und Joe Morscher Erste Veröffentlichungen: März 2003 Vergessene/verborgene/verfemte/verdrängte musikalische Schätze quer durch alle Musikepochen zu entdecken, ist das Hauptziel des Labels VMS Musical Treasures. Dabei kann Produzent Dieter Heuler auf seine fast dreißigjährige Erfahrung in musikalischer "Archäologie" zurückgreifen, die auch seine kreative Arbeit für das Label "Schwann" geprägt hatte. Der weltweite Vertrieb liegt in den Händen von Joe Morscher (Zappel Music), der seit zwei Jahrzehnten dieses Metier erfolgreich betreibt und u. a. auch für die weltweite Distribution des bekannten japanischen Labels "Camerata Tokyo" verantwortlich zeichnet. VMS versteht sich im weitesten Sinne als "inoffizielles" Nachfolgelabel von Schwann. Beide Gründer haben lange Jahre für und mit dem Label Schwann gearbeitet und wollen - nachdem Schwann von Universal übernommen, aber Neuproduktionen großteils eingestellt wurden - die lange Tradition des Labels fortsetzen und Vergessene Musikalische Schätze (VMS) wieder entdecken. Etliche Künstler, die vormals auf Schwann veröffentlicht hatten, haben bei VMS ein neues Zuhause gefunden.
Künstlerauswahl: Aktuell umfasst der Katalog von VMS Musical Treasures gesamt 102 Titel. Mehr Info... |
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