> > > Martinu, Bohuslav: Das Gilgamesch-Epos
Sonntag, 4. Juni 2023

Martinu, Bohuslav - Das Gilgamesch-Epos

Babylonische Männerfreundschaft


Label/Verlag: Supraphon
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die zwar etwas ältere, aber wohl derzeit beste Einspielung des Gilgamesch-Oratoriums von Bohuslav Martinu.

Mindestens viertausend Jahre alt ist das Gilgamesch-Epos, eines der ältesten Zeugnisse menschlicher Kultur. Ungefähr tausend Jahre jünger sind die 12 Tontafeln, auf die man die Geschichte der beiden Titanengefährten Gilgamesch und Enkidu gemeißelt hat. Für den tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu (1890-1959) lag die Veranlassung, Teile des Epos in ein Oratorium für Soli, gemischten Chor und Orchester zu verwandeln, jedoch nicht an dessen immensen Alter. Den jahrelangen Geiger der tschechischen Philharmonie und Sohn eines ostböhmischen Glöckners interessierten laut eigenen Aussagen im Programmheft der Uraufführung von 1958 allgemeinere Themen: ´Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass trotz unseres ungeheuren Fortschritts in Technik und Industrie die Gefühle und Fragen, die die Menschen bewegen, unverändert geblieben sind und in der Literatur der ältesten Völker, von denen wir Kenntnis haben, ebenso wie in der unsrigen existieren. Das sind die Probleme der Freundschaft, der Liebe und des Todes. Im Epos von Gilgamesch ist die Sehnsucht nach Beantwortung dieser Fragen mit fast schmerzlicher Bangigkeit ausgedrückt, der Fragen, auf die wir bis heute noch keine Antwort gefunden haben´

´Nie wirst du finden Unsterblichkeit.´

Die Handlung der drei jeweils 19minütigen Teile des Oratoriums lässt sich in wenigen Sätze schildern: Durch die Vereinigung mit einem ´lockenden Weib´ wird der von den Göttern erschaffene wilde Titan Enkidu domestiziert. Es zieht ihn nach Erech, wo der mächtige Gilgamesch als König herrscht. Im Kampf erweisen sich beide als ebenbürtig und schließen Freundschaft. Doch bereits im zweiten Teil stirbt Enkidu an einer schleichenden Krankheit. Gilgameschs Trauer um den Freund ist so groß, dass er im dritten Teil in die Unterwelt hinabsteigt, um Enkidus Geist aus dem Grab heraus zu beschwören. Auf Gilgameschs existentielle Fragen nach Tod, Jenseits und Unsterblichkeit antwortet Enkidu jedoch nur mit, ´ich sah, ich sah´.

´Mondgott, mein Vater, öffne der Tiefe Gewölb!´

Wie aber hat Martinu diese theatralischen Szenen in Musik umgesetzt? Auf vielschichtige Art und Weise: In seiner fragmentarischen, aber nie zerrissenen Tonsprache, wagt Martinu experimentelle Ausflüge auf tonaler Basis. Eindringliche diffuse Klangflächen wechseln mit rhythmisch archaisierenden Passagen. Bei reich besetztem Schlagwerk liegt der Schwerpunkt dabei weniger auf Holz- als auf Blechbläsern und Streichern. Interessantes Klangfarbenspiel entsteht dabei z. B zwischen der dialogischen Verwendung von Klavier und Harfe im dritten Teil. Knappe Motivik, wie etwa das dreitönige ´Gil-ga-mesch´-Motiv, knüpft unter den einzelnen Teilen der Großform den nötigen Zusammenhalt. Unter den Vokalpartien erhält der Chor die meisten melodisch- harmonischen Anteile, da die Solopartien für Sopran, Bariton und Tenor überwiegend sprechend gestaltet sind.

´Gilgamesch, was läufst du, was suchst du?´

Das inzwischen 75 Jahre alte tschechische Label Supraphon bietet mit einer Archiv-Aufnahme aus dem Jahr 1976 sicher nicht die aktuellste Einspielung. Ein kaum zu hörendes Rauschen sowie eine nicht perfekte, aber klanglich annehmbare Ausbalancierung zeugen vom betagteren Alter. Aber da das Gilgamesch-Oratorium bislang nur selten eingespielt wurde, und es sich ansonsten um eine erstklassige Aufnahme handelt, kann man die vorliegende mit dem tschechischen Symphonie-Orchester Prag und dem Chor der Prager Philharmonie zu den besten zählen. Mit Vaclav Zitel als Bariton, Marcela Machotkova als Sopran und Jiri Zahradnizek als Tenor hört man inzwischen wohl vergessene, aber nichtsdestotrotz sangesstarke vergangene Mitglieder der Oper des Nationaltheaters in Prag. Chor und Orchester gelingt unter Josef Veselka und Jiri Belohlavek vom feinfühligen Pianissimo bis zum gewaltsamen Aufschrei das gesamte Spektrum sinfonisch-epischer Darstellung. Und da das Epos aus dem Sumerischen ins Englische, und von dort wieder ins Tschechische übertragen wurde, artikulieren Chor und Solisten, allesamt Muttersprachler, lautlich authentisch.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Martinu, Bohuslav: Das Gilgamesch-Epos

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Supraphon
1
22.06.2007
Medium:
EAN:

CD
099925391829


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Supraphon

Supraphon Music ist das bedeutendste tschechische Musiklabel und besitzt bereits eine lange Geschichte. Der Name "Supraphon" (der ursprünglich ein elektrisches Grammophon bezeichnete, das zu seiner Zeit als Wunderwerk der Technik galt) wurde erstmals 1932 als Warenzeichen registriert. In den Nachkriegsjahren erschien bei diesem Label ein Großteil der für den Export bestimmten Aufnahmen, und Supraphon machte sich in den dreißiger und vierziger Jahren besonders um die Verbreitung von Schallplatten mit tschechischer klassischer Musik verdient. Die künstlerische Leitung des Labels baute allmählich einen umfangreichen Titelkatalog auf, der das Werk von BedYich Smetana, Antonín Dvorák und Leos Janácek in breiter Dimension erfasst, aber auch andere große Meister der tschechischen und der internationalen Musikszene nicht vernachlässigt. An der Entstehung dieses bemerkenswerten Katalogs, auf den Supraphon heute stolz zurückblickt, waren bedeutende in- und ausländische Solisten, Kammermusikensembles, Orchester und Dirigenten beteiligt.


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