
Scelsi, Giacinto - Trilogia: I tre stadi dell'uomo
Reise ins Zentrum des Klanges
Label/Verlag: aeon
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Giacinto Scelsis autobiographisch gefärbte Trilogie ‘I tre stadi dell’uomo’ findet im belgischen Cellisten Arne Deforce einen hervorragenden Anwalt, der das Wesen der Töne zum Klingen bringt.
Sich selbst zurückziehen um in eine andere Welt einzudringen, sich ganz der kreativen Kraft der Töne hingeben, solle das Ziel des schaffenden Künstlers sein, formulierte Giacinto Scelsi einmal seine musikalische Philosophie. ‘Überlassen Sie das Denken denen, die es nötig haben’, so wehrte er sich gegen übertriebenen Konstruktionsgeist; stattdessen gab er sich lieber der stundenlangen Improvisation hin, um der Tiefe der Klänge und ihrer inneren Polyphonie auf den Grund zu gehen. Sein gesamtes Werk ist in erstaunlicher Homogenität Zeugnis dieser Suche. Ein herausragender Kulminationspunkt ist die autobiographisch gefärbte Trilogie ‘I tre stadi dell’uomo’ für Cello solo, die der belgische Cellist Arne Deforce für das französische Label aeon aufgenommen hat.
Die Trilogie beschreibt die drei Lebensalter des Menschen: die Jugend in ‘Triphon’, die Reife in ‘Dithome’ und das Alter in ‘Ygghur’. ‘Triphon’, ein Tryptichon aus Jugend – Energie – Drama, beschreibt die Dekonstruktion von vertrauten Tönen als musikalisches Grundprinzip, Zerstörung und Wiederaufbau als Primat der Jugend, um das Wesen der Dinge zu erkennen. Dabei kommen elementare Wesenszüge von ursprünglicher Intensität zum Klingen, die einen übersprudelnden Fluss von packender Direktheit und pubertärer Kraft erzeugen. Scelsi schreibt für ‘Triphon’ den Gebrauch eines metallenen Dämpfers vor, der dem Klang des Instruments einen rasselnden Kontrapunkt voll obertonreicher Mikrotonalität hinzufügt.
Die rohen Klänge transformieren sich in ‘Dithome’ in eine reiche, bewegte und polyphon-komplexe Textur. Mit unglaublicher Virtuosität werden aus dem Cello vibrierende und singende Resonanzen hervorgeholt, die an der Grenzen der Spielbarkeit, wo das gesamte Klanggebäude vom Einsturz bedroht scheint, den Hörer in die ‘sphärische Dimension’ der Töne hineinholen.
‘Ygghur’ gehört zu den zentraltönigen Werken Scelsis, in denen der Ton in allen seinen Facetten beleuchtet wird, in ständigem Timbre-, Farb- und Intensitätswechsel. Durch Skordatur des Violoncellos, also das bewusste Umstimmen von Saiten, ergeben sich infrachromatische Cluster, die versuchen, das Wesen des Klanges selbst einzukreisen und fassbar zu machen. Nach einer Zeit des Einhörens beginnt man, die interne Polyphonie der Töne wahrzunehmen, ihre verschiedenen Obertöne, gewissermaßen den Atem, der sie am Leben hält.
Nicht nur aufgrund der extremen technischen Schwierigkeiten, auch wegen der für ein Solostück gewaltigen Länge von beinah einer Stunde und dem damit verbundenen hohen Anspruch an die Rezeptionsfähigkeit des Publikums, ist Giacinto Scelsis Trilogia selten im Konzertsaal zu hören. Kaum zu überschätzen ist daher der Repertoirewert der vorliegenden Einspielung von Arne Deforce, der die übergroßen Fußspuren, die Widmungsträgerin Frances-Marie Uitti hinterlassen hat, bestens ausfüllt. Sein Spiel ist nicht immer so impulsiv und emotional aufgeladen wie das von Uitti; stattdessen ist sein Ansatz ein kontemplativerer, gelegentlich auch intellektuell-kühlerer, was dem Werk, im Hinblick auf den entpersonalisierenden Gestus Scelsis, gut bekommt. Das tiefe Verständnis von Scelsis Musik offenbart sich in jedem Moment der pulsierenden, energetisch aufgeladenen Musik – und nicht zuletzt im hervorragend redigierten Beiheft, in dem Deforce eine brillante Erläuterung der ‘Tre stadi dell’uomo’ gibt.
Arne Deforce zeigt sich mit stupender Virtuosität, ganz in den Dienst des Werkes gestellt, als einer der vielversprechendsten Interpreten seiner Generation, das Magische von Scelsis Musik konsequent in seinem Spiel nachvollziehend.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Scelsi, Giacinto: Trilogia: I tre stadi dell'uomo |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
aeon 1 01.03.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
3760058367483 |
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aeon Äon bedeutet im Altgriechischen soviel wie Zeitalter bzw. Ewigkeit. Wenngleich letztendlich keine Aufnahme für die Ewigkeit sein kann, so kann sie doch zumindest Gültigkeit für ein Zeitalter oder Menschenalter beanspruchen. Diesem nicht geringen Anspruch versucht man bei AEON mit bereits fast hundert Titeln gerecht zu werden. Für seine Einlösung spricht, dass das Label seit seiner Gründung 2001 schnell zu einer der ersten Adressen aus Frankreich wurde. Den Labelgründern Damien und Kaisa Pousset ist es wichtig, einen Katalog zu schaffen, dessen einzelne Titel jeweils als ultimative Intention der beteiligten Musiker verstanden werden können. Künstler wie Alexandre Tharaud, Andreas Staier, Felicity Lott oder das Quatuor Ysaÿe haben hier Aufnahmen vorgelegt, die woanders so sicherlich nicht möglich gewesen wären. Der Katalog von AEON umfasst im Wesentlichen drei Hauptschwerpunkte: monographische CDs mit Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, dann das breitere, klassische Repertoire, das durch ausgewählte Künstler und Ensembles bestritten wird, sowie die frühe Musik des Mittelalters. Mehr Info... |
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