
Kálmán, Emmerich - The Gypsy Princess
Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht
Label/Verlag: Opus Arte
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die ‚Csárdásfürstin’ auf DVD boomt. Nicht weniger als drei deutschsprachige Versionen sind derzeit im Handel erhältlich, nun folgt auch die erste englische Fassung aus Sydney. Als eine Art ‚Disneyland im Walzertakt’.
Es ist natürlich immer eine Frage des persönlichen Anspruchs – und dessen, was man von einer Operette so erwartet. Für mich sind Operetten avantgardistische Kitschkunst avant la lettre, die auf grotesk-frivole Weise die Wirklichkeit spiegeln; sie sind für mich damit auch historische Dokumente, die Auskunft geben, über die Befindlichkeiten der Epoche, in der sie entstanden sind. Und an welchem Stück ließe sich das exemplarischer belegen als an Emmerich Kálmáns ‚Csárdásfürstin’ von 1915? Im ersten Jahr des Ersten Weltkriegs wird da mit parodistischer Laune und typisch operettenhaftem Witz der Untergang der alten Gesellschaftsordnung besungen und eine neue – bürgerlichere – heraufbeschworen, indem die titelgebende Hauptdarstellerin vom Tingeltangel am Ende den Grafen heiratet (dessen so sehr auf blaublütige Etikette versessene Mutter sich als Ex-Chansonette entpuppt). Alles falscher Schein, alles hohl – die ganze kakanische Witz-Gesellschaft. Das verkünden die Librettisten genüsslich, und Kálmán kleidet es in eine Musik, die zum eingängigsten und beschwingtesten zählt, das er je geschrieben hat. Jede Nummer ein Hit, von ‚Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht’ bis zu ‚Tausend kleine Engel singen’.
Das charakteristische (oft abrupte) Nebeneinander von Schmalz, Schmerz, Sentiment und Slapstick in diesem Stück erlebt man exemplarisch im Tonfilm von 1934, unter der Regie von Georg Jacoby und mit der kongenialen Marta Eggerth als Csárdásfürstin. (Dem Streifen waren bereits zwei Stummfilme 1919 und 1927 vorangegangen; deutliches Zeichen für die Popularität des Stoffs.) Als Jacoby die Operette 1951 neuerlich verfilmte – diesmal mit seiner Gattin Marika Rökk und mit Johannes Heesters – da war vom Werk und seinem ursprünglichen Reiz nur mehr wenig übrig. Die Handlung spielt irgendwo zwischen Sizilien und Nirgendwo. Genau wie Operette nach 1945 zu einer Art Nirwana ohne Zeitbezug, Sex und Pfiff wurde. (Dazu erschienen gerade mehrer Bücher, die das Problem behandeln und es wird bei den Berliner Philharmonikern im Winter eine Ausstellung dazu geben.)
Dass ausgerechnet diese überwunden geglaubte Wirtschaftswunderland-Ästhetik jetzt wieder zurückkehrt in Form von Neuveröffentlichungen (im Fall des Rökk/Heesters-Films bei Kinowelt), kann einem schon zu denken geben. Auch der TV-Film der 70er Jahre von der ‚Csárdásfürstin’ mit Rene Kollo und Anna Moffo hat mit der Originaloperette so gut wie nichts zu tun, auch wenn er laut Klappentext ‚an Originalschauplätzen’ gefilmt wurde. Er ist soeben neu auf DVD herausgekommen, bei Deutsche Grammophon. Über einen gewissen Trash-Wert hinaus hat der Streifen wenig zu bieten. Außer, dass auch er ein Zeitdokument ist, aber eben nicht der Zeit der Uraufführung, sondern der Siebziger Jahre – die mit Kálmáns ‚Csárdásfürstin’ so viel gemein haben wie Broadwaymusicals mit Deborah Sasson oder der Grand Prix Eurovision de la Chanson mit Chansons. (Darüber hat Christoph Dompke gerade einen herrlichen Essay geschrieben im Buch ‚Glitter an be Gay’.)
Dennoch: Der Markt für Operetten scheint zu boomen und wird mit solchen Filmen (und entsprechenden Bühnenproduktionen) derzeit überschwemmt. Und so kam denn auch eine englischsprachige Version der ‚Gypsy Princess’ kürzlich in den Handel, eine Aufzeichnung der Operette aus der Australian Opera in Sydney 1990, mit Richard Bonynge am Pult, Regie Nigel Douglas. Auch dort spielt die Operette in einem (Art Deco) Nirwana, in einem Fantasieland: schön und bunt. Mehr nicht. Keine Kratzer, keine Schattenseiten des Lebens, kein Herzblut. Alles glatt und glänzend. Operette eben, wie sie sich viele Menschen – dank solcher Vorstellungen – heute vorstellen.
Wenn man diese Kálmán spezielle Operette auf DVD sehen will, musikalisch wie darstellerisch/inszenatorisch hervorragend exekutiert, dann muss man doch auf den Ufa-Streifen von 1934 zurückgreifen. Und hoffen, dass endlich ein Regisseur der Jetztzeit das Stück in all seiner Radikalität und seinem Eklektizismus neu herausbringt. Baz Luhrman (‚Moulin Rouge’) wäre da sicher ideal, auch wenn er sich – in Sydney übrigens – bislang nur an ‚La Boheme’ gewagt hat. So würde ich selbst vorerst einen großen Bogen um all die oben genannten DVDs machen und mich derweil an Marta Eggerth halten. Immerhin dirigiert bei der Ufa 1934 Theo Mackeben (Uraufführungsdirigent der ‚Dreigroschenoper’), der für diese Art Musik und das Genre Operette doch mehr Gespür und Einfühlungsvermögen zeigt, als Richard Bonynge. Und das sage ich als großer (!) Bewunderer von Bonynges Leistung im Belcanto-Bereich.
Es zeigt sich, dass Operette heute zu inszenieren doch für viele schwieriger ist, als man denken würde, wenn man sieht, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit Eggerth und Kollegen das ehemals machten. Vielleicht sollte man Darstellern der Gegenwart empfehlen, diese alten Versionen (nicht nur der ‚Csárdásfürstin’) anzugucken, bevor sie sich selbst ans Werk machen, zur Formung eines gewissen Stil-Bewusstseins. Und zur Formung einer Vorstellung von der Essenz von Operette. Die sucht man nämlich in allen späteren Filmen vergeblich. Und ohne sie sind Operettenaufführung und Filme wie der aus Sydney einfach keine ‚echten’ Operetten, sondern eine (erschreckend humorlose und ungewollte) Parodie des Originals.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Kálmán, Emmerich: The Gypsy Princess |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Opus Arte 1 |
Medium:
EAN: |
DVD
809478040187 |
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