
Furrer, Beat - Begehren
Das Gesetz der Begierde
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Wieder dient der Orpheusmythos als Ausgangspunkt innovativen Musiktheaters - wie schon vor vierhundert Jahren bei Monteverdi: Beat Furrers 2003 uraufgeführtes Werk ‘Begehren’ ist nun mit den ensemble recherche bei Kairos erschienen.
Die Frage, was Musiktheater heute zu leisten habe, bewegt - den Eindruck kann man des Öfteren gewinnen – scheinbar nicht allzu viele zeitgenössische Komponisten. Oper wird häufig noch als Spielplatz der Leidenschaften verstanden, in alten Erzählformen verharrend, ohne die ‘Überlagerungsdellen’, die diese Gattung in ihrer langen Geschichte davongetragen hat, zu reflektieren. Dennoch bescheren uns Komponisten manche Momente von eindringlicher Ursprünglichkeit, in denen wirklich Neues auftritt und in solcher Radikalität etwas davon erzählt, was im tiefsten Sinne ‘klassisch’ ist. Der Wahlösterreicher Beat Furrer scheint prädestiniert für Erlebnisse dieser Art. Sein jüngster Beitrag zur Gattung wurde unlängst auf der Biennale von Venedig ausgezeichnet. Von ähnlicher Bedeutung ist Furrers Musiktheater ‘Begehren´’; 2003 zur Eröffnung der Kulturhauptstadt in Graz uraufgeführt, ist es nun als Hybrid-CD bei Kairos erschienen.
Der Orpheusmythos erzählt vom Prototyp der Musik und des Musikers. Der Sänger Orpheus, der mit der Kraft der Musik den Tod besiegt, ist gleichzeitig Urbild des Menschen und seiner Leidenschaften. Insofern ist der Orpheusstoff wie geschaffen für die Umsetzung auf der Opernbühne, wovon zahlreiche Vertonungen von Monteverdi bis heute zeugen.
Beat Furrers Version des Mythos will nun keine Handlungsstränge rekonstruieren, sondern innere Gefühlswelten ausloten, die Zustände des Begehrens, des Verlangens, darstellen und ihnen auf den Grund gehen. Die Besetzung ist auf zwei Personen beschränkt, SIE und ER, zwei namenlose Protagonisten in beziehungsloser Ortlosigkeit. In zehn Szenen werden die beiden Figuren in den unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung gezeigt, auf der Suche nacheinander und nach sich selbst.
Die Gegensätzlichkeit der beiden Figuren wird durch die Behandlung der Sprache verdeutlicht. Dem Sänger wird es verwehrt, sich in seinem eigenen Medium auszudrücken, er spricht anstatt zu singen. Gegen Ende erst versucht er zu singen, was er nicht sagen konnte, heraus kommt aber nicht mehr als ein Summen ohne semantischen Kontext. Zurück bleibt SIE mit einer Schluss-Aria ins Offene. Eine Kommunikation zwischen beiden findet wegen des unterschiedlichen Sprachvorrats nicht statt. SIE antwortet ihm immer in fremden Sprachen – das Libretto ist aus unterschiedlichsten Quellen von Ovid und Vergil in Originalsprachen bis zu Broch, Pavese und Eich zusammengesetzt. Ein Dialog entsteht nur an wenigen Momenten des Innehaltens, wenn ER und SIE in den verschiedenen Längen von Ein- und Ausatmen eine gemeinsame Expressivität suchen.
Wie im antiken Theater steht die Konfrontation von Individuum und Chor hinter Furrers Musiktheatermodell. Ein zwölfköpfiges Vokalensemble – in dieser Aufnahme das stimmvirtuos agierende Ensemble NOVA – ist in die Handlung eingewoben wie ein Geflecht aus inneren Stimmen der Protagonisten.
Furrers Musik ist von körperlich packender Intensität ohne Aufweichungen struktureller Prinzipien. Sie bewegt sich zwischen Atem und Gesang und ist somit eine Erweiterung des Vokaltraktes der Protagonisten. In ihrer herben. flirrend bröseligen Klanglichkeit spricht sie auch von der Sehnsucht nach verlorenem Gesang und versenkt sich oft in rettende Stille. Ein musikalischer Sog des Begehrens entsteht, klangliche Gesten eines verzweifelten (Selbst)Gesprächs. Diese Musik liefert keine oktroyierten Wahrheiten sondern lässt den Hörer in seiner Wahrnehmung allein. Sie bietet aber einen Hauch der Hoffnung, wenn im Schlussgesang SIE ihre Stimme wieder finden wird.
Das auf fünfzehn Spieler verstärkte ensemble recherche agiert unter der Leitung des Komponisten mit eindringlicher Nähe und größter Präzision; ein flirrender Klangteppich, auf dem die beiden Protagonisten zu wahren Sprech- Sing- und Atemkünstlern werden können. Johann Leutgeb als murmelnder ER mit einer unglaublichen Palette an stimmlichen Intensitäten und Petra Hoffmann als koloraturfestes Überbleibsel einer langen Gattungsgeschichte verkörpern die Figuren auf der Suche nach ihrer eigenen Bedeutung mit bewusstseinserweiterndem Zugriff.
Solche Musik gibt dem Hörer viel mit auf den Weg. Und ihn ihrer innovativen Radikalität hat sie viel von dem Paukenschlag, den Monteverdis Orfeo vor vierhundert Jahren bedeutete.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Furrer, Beat: Begehren |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 2 13.04.2007 |
Medium:
EAN: |
SACD
9120010281075 |
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