
Mozart, Wolfgang Amadeus - Klavierkonzert Nr. 20 KV 466 & Nr. 25 KV 503
Innere Dringlichkeit und Eleganz
Label/Verlag: Arts music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Cianis Interpretation ist nicht analytisch, sondern intuitiv-musikalisch - daher ihre ungeheure Lebendigkeit, die diese CD aus dem Archiv der RAI zum wertvollen Bestandteil einer jeden Sammlung macht.
Die vielversprechende Karriere des italienischen Pianisten Dino Ciani (1941–1974) währte nur kurz. Die vorliegenden Mitschnitte zweier Aufführungen dokumentieren seine bewegte und bewegende Auseinandersetzung mit Mozart. Die Auswahl ist gut getroffen: Das erste Dokument ist der Live-Mitschnitt des 1968 unter der Leitung des britischen Dirigenten John Barbirolli in Neapel aufgeführten Klavierkonzerts C-Dur KV 503. Die Kombination mit der später entstandenen Einspielung des Klavierkonzerts d-Moll KV 466 (Turin 1972) lädt zum Vergleich ein: Wie hat sich Cianis Zugriff auf Mozarts Musik im Laufe von vier Jahren gewandelt? Feststeht, dass er sich in beiden Fällen mit überwältigender Musikalität als ebenso spiel- wie risikofreudig offenbart.
Die Prachtentfaltung des souverän geleiteten ‘Orchestra Sinfonica della RAI di Napoli’ und Cianis Spiel, das druckvoll und philigran zugleich ist, kennzeichnen die Interpretation des Dur-Konzerts. Sie bringt im ersten Satz das für Mozart so typische faszinierend-unberechenbare Changieren zwischen Dur und Moll zum Vorschein. Mit unerbittlichem Nachdruck erklingt das in mannigfachen Variationen wiederkehrende Achtelmotiv. Wieviel an Moll in Dur stecken kann, machen Solist wie Orchester gleichermaßen deutlich, den hohen dramatischen Gehalt des Kopfsatzes meisterhaft herausarbeitend. Vorgegriffen sei, dass nahezu dasselbe für den Finalsatz gilt, dessen tänzerischer Grundgestus mit überschäumender Spielfreude dargeboten wird. Der zweite Satz indes gerät wohltuend entspannt; der Tendenz eines allzu ‚keuschen‘ Schwelgens in Harmonie begegnet der Solist mit einer stets zielgerichteten Linienführung und einer unter der eleganten Phrasierung schwelenden Dringlichkeit, die erst im Moll-Konzert voll zur Geltung kommen wird.
Die Zerrissenheit und der Furor, die dem wohl dramatischsten Klavierkonzert Mozarts d-Moll KV 466 zu eigen sind, wurden selten so überzeugend zum Ausdruck gebracht und entfesselt wie hier. Die ungebändigte Wucht in Cianis Zugriff vor allem auf die Ecksätze ist überwältigend. Hier handelt es sich nicht um eine unbedacht-aggressive Dramatisierung, sondern um einen Zugriff, der in der Dramatik der Musik selbst angelegt ist. Mittels seines zwischen unverhohlen hämmernd und unvermutet weich oszillierenden Anschlags legt der Pianist das unter dem – vielfach schon von Mozart gebrochenem – klassischen Maß emotional Zerrissene und unheimlich Brodelnde der musikalischen Gestik frei.
Das 1785 komponierte Werk ist mit dem Verweis auf den vergrößerten Anteil des Orchesters am gattungstypischen Wechselspiel als ‘sinfonisches Konzert’ (Flothius) bezeichnet worden. Im Zuge dieser Ausweitung der Proportionen erhält das Klavier neben seiner solistischen nun auch begleitende Funktion. Gemeinsam mit dem von Piero Bellugi geleiteten ‘Orchestra Sinfonica della RAI di Torino’, das mit ausgewogenem und klarem Klang aufwartet, bildet Ciani eine überzeugende Einheit, obgleich er besonders im ersten Satz stets eine Spur pointierter und schärfer als das Orchester artikuliert und gelegentlich sogar davonzueilen droht. Der so entstehende Eindruck einer leichten metrischen Zerrissenheit – bei einem faktisch stets gewährleisteten Zusammenhalt – kommt der Musik sehr entgegen; so entsteht in den Ecksätzen eine zusätzliche Spannung. Seine stupende Technik lässt ihm sogar den Verspieler zu Beginn der Kadenz, an dieser dramaturgisch so wichtigen Stelle, verzeihen – er mag eher als Nebenerscheinung seines Spiels gelten, das innere Dringlichkeit mit Eleganz zu vereinen weiß. Diese Kadenz ist derart spannungsvoll gestaltet, dass selbst die in diesem Abschnitt lauten Hintergrundgeräusche die Aufmerksamkeit nicht stören.
Welch ein Wechsel im Ausdruck zu Beginn des zweiten Satzes! Zunächst scheint es, als setzten Pianist und Orchester gezielt auf Entspannung und Introversion. Doch schnell wird deutlich, dass die Interpretation auch in diesem melodisch so sanft fließenden Satz nichts an Energie und Unbedingtheit eingebüßt hat. Durch die Organik der Phrasierung und Cianis ausgeprägte Sensibilität für melodische Verlaufskurven wirkt das Metrum wundersamerweise freier gestaltet, als es ist. Ciani macht deutlich, wieviel an Romantischem in der ‘Romance’ tatsächlich steckt.
Er gestaltet mühelos. Man höre nur den Solo-Einstieg zu Beginn des dritten Satzes: Mit welcher Ernsthaftigkeit des Ausdrucks und überschäumender Leichtigkeit zugleich wird hier musiziert! Dass Verzierungen in Form von fließenden Aufgängen oder Vorschlägen nicht angebracht werden, mag dem überlieferten Desinteresse Cianis an philologischer Arbeit geschuldet sein (der Einführungstext des Booklets bietet bei aller Knappheit einen guten Einstieg). Seine Interpretation ist nicht analytisch, sondern intuitiv-musikalisch – daher ihre ungeheure Lebendigkeit, die diese CD aus dem Archiv der RAI zum wertvollen Bestandteil einer jeden Sammlung macht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mozart, Wolfgang Amadeus: Klavierkonzert Nr. 20 KV 466 & Nr. 25 KV 503 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
Arts music 1 19.02.2007 064:29 1979 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
600554308227 43082-2 |
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"Die Biographie des hochbegabten und leider viel zu früh verstorbenen italienischen Pianisten Dino Ciani (1941-1974) war durch einen schnellen Aufstieg zur absoluten Bekanntheit im Rahmen des italienischen Musiklebens gekennzeichnet. Gekrönt wurde seine Kariere schließlich 1961 durch den Gewinn des 2. Preises beim internationalen Liszt-Bartók Wettbewerb in Budapest. Auftritte an einigen der prestigeträchtigsten Konzerthäuser Europas mit den bekanntesten Dirigenten seiner Zeit folgten. ARTS MUSIC präsentiert jetzt im Rahmen seiner Reihe ARTS ARCHIVES eine Einspielung der beiden Mozart Klavierkonzerte Nr. 20 und Nr. 25 mit dem Orchestra Sinfonica „A. Scarlatti“ della RAI di Napoli und dem Orchestra Sinfonica RAI di Torino. Lassen Sie sich verzaubern von dieser wundervollen Aufnahme remastered in glasklarer 24 bit / 96 kHz Technik. " |
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Gramophone: ""Ciani is memorably responsive in K503 where his rapport with the Napels "Scarlatti" Orchestra under Sir John Barbirolli (also on top form) is consistently evident"" |
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Arts music ARTS wurde 1993 gegründet. Seither haben wir mehr als 6200 Tracks (das sind über 400 Datenträger) mit Klassischer Musik der letzten 5 Jahrhunderte veröffentlicht. Neben Alter Musik und Zeitgenössischem befindet sich in unserem Katalog auch Musik der größten Interpreten der letzten Jahrzehnte sowie Musik sehr erfolgreicher junger Künstler, die Ihren künstlerischen Zenith noch vor sich haben und diesen mit uns verbringen werden. Die Musikrichtungen reichen von Sakral bis Oper, Kammermusik bis Symphonik, Lied bis Operette. Große Werke Mozarts, Beethovens, Schuberts usw. sind ebenso vertreten wie Raritäten von Rossini, Verdi, Händel und vielen mehr.
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