
Marx, Joseph - Orchesterwerke
Musik ohne Zwangsjacke
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die üppigen Klanggemälde des Österreichers Joseph Marx befinden sich bei Johannes Wildner und dem RSO Wien in besten Händen.
Vor gut 50 Jahren veröffentlichte der Wiener Musikschriftsteller Alois Melichar sein Pamphlet 'Musik in der Zwangsjacke'. Darin greift er zwei der seinerzeit bekanntesten Komponisten, Carl Orff und Arnold Schönberg, scharf an. Orff ist für Melichar ein primitiver Strawinsky-Imitator ohne jede Begabung, Schönberg bezeichnet er als mittelmäßigen Wagnerianer, der das musikalische Handwerk nicht beherrscht. Auch andere Vertreter der Moderne, namentlich Rolf Liebermann und Josef Matthias Hauer, werden von Melichar attackiert. Solch bittere Polemiken lesen sich heute teils befremdlich, teils vergnüglich – in vielen Punkten irrte sich ihr Verfasser, in anderen muss man ihm nachträglich recht geben.
Und es gibt auch Komponisten, vor denen Melichar den Hut zieht: Joseph Marx (1882 – 1964) beispielsweise, ein heute weitgehend vergessener Name, ist für den Autor 'der Musiker mit dem feinsten inneren Ohr für tonal-funktionale Schwebungen und Nuancen [...], ein harmonischer Auskultator non plus ultra'. Damit ist ein wesentlicher Punkt von Marx´ Musik charakterisiert: Sein bei aller harmonischer Flexibilität unbeirrtes Festhalten an der Dur-Moll-Tonalität, auch als diese längst aus der Mode gekommen war. Die drei hier von Johannes Wildner und dem Radio-Symphonieorchester Wien vorgestellten Werke zeigen Marx in der Nähe von Richard Strauss und Gustav Mahler, zumindest formal schien er der Tondichtung dabei eher zugeneigt zu sein als der Symphonie. Im Jahr 1925 entstanden 'Eine Frühlingsmusik' und die 'Idylle', 21 Jahre später schrieb Marx die 'Feste im Herbst'.
Die Titel der drei Werke legen es nahe, hier von Programmusik zu sprechen. Doch über vage Assoziationen hinaus reicht das Programm nicht. Gewiss könnte man etwa die 'Frühlingsmusik' als heiter, munter oder frisch bezeichnen. Aber ihre musikalische Aussagekraft hat sie auch ohne den Titel. Wildner begreift das Werk als rauschendes Klanggemälde, in dem die Streicher nach Herzenslust schwelgen dürfen. Auch Harfe und Holzbläser wurden von Marx reich bedacht, die ganze Partitur hindurch glänzt und schillert es. Die farbige Instrumentenpallette ist jedoch nur eine Seite des Stückes, die andere ist die bereits von Melichar gelobte Harmonik. Das RSO Wien verfügt über die erforderliche Sicherheit, um in die harmonischen Tiefen des Werkes einzudringen. Hört man diese packende, auch klanglich geglückte Interpretation, dann wird es zum Rätsel, warum Marx´ Stücke in Vergessenheit geraten konnten. Gewiss, es handelt sich um romantische Musik, die nicht verstören oder aufrütteln will. Doch von ihrer Substanz her ist die 'Frühlingsmusik' ein erstklassiges Werk, das hier in einer kaum weniger erstklassigen Einspielung vorliegt.
Dies wird auch beim Blick auf die 'Idylle' deutlich, einem merklich schwächeren Stück. Das im gleichen Jahr wie die 'Frühlingsmusik' entstandene Werk verfügt nicht über deren Strahl- und Aussagekraft. Trotz vieler gelungener Passagen (etwa der zarte Beginn der Klarinette) fehlt hier ein wenig die Schlüssigkeit. Hervorzuheben ist erneut die Leistung der Holzbläser, die Marx offenbar sehr am Herzen lagen. Auch die 'Idylle' stellt sie vor viele dankbare Aufgaben, die von den Musikern des Wiener Orchesters gerne angenommen werden. Wildner ist bemüht, den leider gelegentlich anzutreffenden Leerlauf mit einem straffen Tempo zu kaschieren.
Mit der 'Feste im Herbst' erreicht Marx dann wieder das Niveau der 'Frühlingsmusik', das 1946 entstandene Werk dürfte im Umfeld der Nachkriegs-Avantgarde hoffnungslos anachronistisch gewirkt haben. Der heutige Hörer kann sich dem Stück unbefangener nähern und wird feststellen, dass die genannten Vorzüge auch hier anzutreffen sind. Aus der abwechslungsreichen Instrumentation ragen Klavier und Celesta als raffinierte Farbtupfer heraus. Die österreichischen Musiker halten hier das hohe interpretatorische Niveau aus den beiden vorangegangenen Werken. Als letztes vollendetes Werk des Komponisten – der es, Sibelius vergleichbar, am Ende seines Lebens vorzog zu schweigen – bildet die 'Feste im Herbst' einen gelungenen Abschluss dieser bemerkenswerten Marx-CD.
Noch ein Wort zum Vorwurf des Ekklektizismus. Marx war sicherlich kein bahnbrechender Neutöner, er stand in der Tradition der deutsch-österreichischen Symphonik. Von wem er in seinen Werken Impulse empfing, darüber ließe sich wohl ein ganzes Buch schreiben. Wichtiger erscheint mir jedoch die handwerkliche Souveränität und Ehrlichkeit seiner drei hier vorgestellten Werke. Ohne Zweifel handelt es sich um konservative Musik, dies aber im besten Sinne des Wortes. Wildner und das RSO Wien legen mit dieser CD ein eindrucksvolle Plädoyer für einen Spätromantiker vor, dessen Oeuvre – nachdem es jahrelang vernachlässigt wurde – allmählich die verdiente Würdigung erfährt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Marx, Joseph: Orchesterwerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.09.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
761203732029 |
![]() Cover vergössern |
cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag cpo:
-
Im Geiste Mendelssohns und Schumanns: Das Klaviertrio Then-Bergh/Yang/Schäfer entdeckt mit Berthold Damcke einen erstklassigen Romantiker, der auf den Spuren Mendelssohns und Schumanns wandelte. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Schlank und festlich: Michael Alexander Willens bietet mit seiner Kölner Akademie eine festliche Weihnachtsgabe. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Intrigen im Kreml: Die deutsche Barockoper 'Boris Goudenow' macht in einer CD-Produktion von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik großen Eindruck. Weiter...
(Karin Coper, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Michael Loos:
-
Im Geiste Mendelssohns und Schumanns: Das Klaviertrio Then-Bergh/Yang/Schäfer entdeckt mit Berthold Damcke einen erstklassigen Romantiker, der auf den Spuren Mendelssohns und Schumanns wandelte. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Französische Entdeckungen: Der Trompeter Håkan Hardenberger überzeugt mit einem rundum gelungenen Programm französischer Konzerte des mittleren und späteren 20. Jahrhunderts. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Spätromantisches aus der Ukraine: Thomas de Hartmann komponierte Orchesterwerke von unterschiedlicher Qualität, kann sich aber mit dem Klavierkonzert und dem Scherzo-fantastique behaupten. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Ouvertüren und mehr: Der vierte Teil der Gesamteinspielung von Auber-Ouvertüren durch Dario Salvi gibt sich tänzerisch. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Verspätete Geburtstagsgabe: Das Jahr 2021 sah eine einigermaßen nachhaltige Auseinandersetzung mit Ruth Gipps. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Bob van der Ent scheitert an Bachs Sonaten und Partiten : Challenge Classics wirft noch einmal eine Doppel-CD mit Bach auf den Markt. Der niederländische Violinist Bob van der Ent kann aber den hohen Ansprüchen an das Werk nicht gerecht werden. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Klarinettist Nicolai Pfeffer im Portrait
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich