
Verdi, Giuseppe - La Traviata
Gar nicht so krank
Label/Verlag: Opus Arte
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Der von Opus Arte veröffentlichte Mitschnitt einer 'Traviata' aus Covent Garden zeigt eine der Rolle nur teilweise gerecht werdende Renée Fleming. Joseph Calleja weiß für sich einzunehmen, Thomas Hampson punktet im Schauspielerischen.
'La Traviata' ist eine Oper, deren Beliebtheit auch auf dem Fernsehschirm reichhaltig bedacht worden ist. So darf man von jeder Neuveröffentlichung neue Einblicke erwarten, gleich welcher Art. Leider wird die vorliegende Wiederaufnahme aus dem Royal Opera House Covent Garden solchen Erwartungen kaum gerecht – trotz der drei mit Renée Fleming, Joseph Calleja und Thomas Hampson prominent besetzten Hauptrollen. Die Produktion hatte ihre Premiere im Jahr 1994. Sir Georg Solti dirigierte unter anderen Angela Gheorghiu, Frank Lopardo und Leo Nucci. Seither istSir Richard Eyres Produktion in der Ausstattung von Bob Crowley sichtlich in die Jahre gekommen. Kaum eine der 1994 von Eyre sorgsam auschoreografierten Bewegungen (wie unter Solti auf DVD zu sehen) ist noch in seinem ursprünglich intendierten Charme, seiner unaufdringlichen Eleganz erhalten (obwohl Eyre laut Flemings Aussage die Neueinstudierung überwacht haben soll).
Gerade im ersten Akt überrascht Fleming durch keineswegs durchgängig damenhafte, im Gegenteil bisweilen geradezu burschikose Körperbewegungen, die – gerade im direkten Vergleich mit Gheorghius scheinbar traumwandlerisch sicherer Beherrschung von Gestik und Mimik – die Produktion, die im zweiten und dritten Akt durchaus noch an Tiefe gewinnt, leider nachhaltig diskreditieren. Gerade aber wenn eine Produktion per DVD vermarktet werden soll (und das ist erklärtes Ziel von Covent Garden: neue herausragende Produktionen zeitnah auf bild- und klangtechnisch hochwertiger DVD vorzulegen), muss man Sorgfalt nicht nur in musikalischer, sondern auch in darstellerischer Hinsicht erwarten können.
Musikalisch ist die Produktion in vielerlei Hinsicht überzeugend. Die meisten von Antonio Pappanos Tempi ‚sitzen‘, doch manche müssen schon als ein wenig überraschend bezeichnet werden. Im großen Duett des dritten Aktes etwa wählt er ausgesprochen zügige Tempi – so zügige, dass weder Calleja noch Fleming hinterherkommen. Hier wären größere Präzision bzw. mehr Rücksichtnahme zu erwarten. Anderswo verlangsamt er unerwartet den Puls, etwa in Alfredos 'Un di, felice, eterea'. Nun hat der Malteser Joseph Calleja eine ausnehmend schöne, gut sitzende Stimme, die er auch in langsamen Tempi bestens einzusetzen weiß; insofern kein wirklicher Schaden. Allerdings möchte ich dennoch kurz auf einen durchaus nicht nebensächlichen Aspekt hinweisen, der schon in den 1950er-Jahren zumindest bei Sängerinnen nahezu eine Selbstverständlichkeit war. ‚Mein ganzes Leben habe ich gegen den Speck gekämpft. Ich habe es mir immer sehr gut schmecken lassen und musste permanent darauf achten, nicht zu dick zu werden. Und das hatte nicht allein mit weiblicher Eitelkeit zu tun, sondern war auch eine Frage der Professionalität. Wer auf die Bühne geht, hat auch die Pflicht, möglichst so auszusehen, wie es die jeweilige Rolle erfordert.‘ (Inge Borkh). Warum können wir nicht dasselbe von Tenören fordern? Bärte, Bäuche, Unbeweglichkeit – das alles ist eine notorische Unart unter Tenören (und eben deshalb fallen die ‚Gegenentwürfe‘ wie zurzeit Jonas Kaufmann so besonders auf). Frank Lopardo war 1994 als Alfredo eine deutlich ansprechendere Erscheinung als Joseph Calleja 2009. Calleja hingegen hat eine lyrischere und charmantere Stimme (herrlich 'De’ miei bollenti spiriti'); bei sorgsamem Einsatz und entsprechenden Angeboten könnte er der neue Carlo Bergonzi werden.
Einen größeren Unterschied als Joseph Calleja und seinem ‚Bühnenvater‘ Thomas Hampson kann man sich kaum vorstellen. Jeder Zoll darstellerisch der Herr, der er sein soll (sogar zu nobel in der Ausstrahlung), ist seine Stimme mittlerweile einigermaßen gealtert. Unter Druck (und das heißt bei ihm ab Mezzoforte) wirkt sie gepresst und strähnig. Wie es ihm gelingt, Violetta zu manipulieren – hier beginnt das richtige Drama, und hier, ab dem zweiten Akt, blüht auch Renée Fleming auf.
Es ist schade, dass sie im Grunde fast den ganzen ersten Akt verschenkt. Im Gegensatz zu Angela Gheorghiu 1994 wirkt Fleming hier leider in mehrfacher Hinsicht für die Violetta ungeeignet. Ja, sie sieht blendend aus, hat eine Stimme wie Milch und Honig, doch das reicht nicht für ein vollständiges Rollenporträt. Die Violetta fordert im ersten Akt eine fähige Koloratursängerin, und das ist Fleming leider nicht. Wie sie in ihrer großen Szene ihre Koloraturen immer wieder verschleift, wie es ihr nicht gelingt, die Spitzentöne direkt zu attackieren: Das darf bei einer solchen Rolle nicht passieren. Überdies spricht ihre Stimme oft nicht schnell genug an (ein Problem, mit dem auch Kiri Te Kanawa zu kämpfen hatte), so dass sie fast nie exakte Einsätze singen kann. Die gleiche Problematik verursacht Artikulationsschwierigkeiten. Eine gehörige Portion Sexappeal kann Fleming vorweisen; doch ist es eher der Sexappeal der amerikanischen Seifenoper denn die scheinbar selbstverständliche Andeutung, die elegante Geste, die Gheorghiu zu Gebote standen. Auch ihre Krankheit ist nachgerade gekünstelt gespielt.
Im Bonustrack, einem Pausengespräch zwischen ihr und Pappano, gibt Fleming zu, wie sehr sie besonders im ersten Akt mit der Rolle kämpfen muss: Eindeutig ist sie noch längst nicht in ihr angekommen. Immerhin, im zweiten und dritten Akt fühlt sie sich wohler und macht viele ihrer Fehler wett (allerdings sieht sie in manchen Momenten im zweiten Akt eher wie eine Südstaatenschönheit aus als wie eine ehemalige Kurtisane). 'Dite alla giovine' war für sie der Grund, die Rolle unbedingt singen zu wollen, und man spürt, wie ihr diese wahrhaftigen Momente besser liegen als Koketterie. Sie steigert sich und ihre Rolle zu größerer Authentizität, fokussiert vokal auch besser und wird dadurch textverständlicher.
Dennoch bleibt Fleming auch dem dritten Akt einiges schuldig. Und das liegt nicht nur an ihr. Was sich die Regie dabei gedacht hat, Violetta immer wieder wild herumrennen zu lassen, bleibt dem Zuseher verschlossen, und auch die plakativen Blutflecke auf ihrem Kissen stehen der grundsätzlich naturalistischen Logik der Inszenierung entgegen. Gleichzeitig ist es allzu offensichtlich, dass Fleming versucht die Schwerkranke zu spielen; sie ist es aber nicht. Die so wesentliche Verschmelzung mit der Rolle gelingt ihr nicht. Das merkt man sowohl musikalisch, wenn jedwede fahle Klangfarben und bewusst zerbrechlich geformte Phrasen fehlen, als auch darstellerisch. Schade.
Chor und Orchester von Covent Garden, die Klangtechnik (Stereo und Surround Sound) sowie die Bildregie (Rhodri Huw) sind einwandfrei, sodass man am Ende des Opernabends dann doch einigermaßen zufrieden sein kann. Aber ohne den ersten Akt geht es eben leider nicht, und auch nicht ohne eine überzeugende Schwindsucht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Verdi, Giuseppe: La Traviata |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Opus Arte 1 25.04.2011 |
Medium:
EAN: |
DVD
809478010401 |
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