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Dienstag, 28. November 2023

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Münchner Philharmoniker und Philharmonischer Chor München mit Raphaël Pichon, Copyright: Tobias Hase

Münchner Philharmoniker und Philharmonischer Chor München mit Raphaël Pichon, © Tobias Hase

Raphaël Pichon debütiert bei den Münchner Philharmonikern

Individuelle Handschrift

Erstmalig zu Gast bei den Münchner Philharmonikern war Raphaël Pichon – und lieferte ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Debüt. Von der mit seinem eigenen (Chor und Orchester beinhaltenden) Ensemble Pygmalion aufgebauten und über Jahre hinweg entwickelten Originalklangphilosophie kommend, hat er sich zielstrebig seinen Weg an die Pulte immer renommierterer Klangkörper gebahnt: Mit den Wiener Philharmonikern hat er bei den diesjährigen Salzburger Festspielen seine hervorragende Mozart-Kompetenz in der dortigen „Figaro“-Produktion unter Beweis gestellt. Bei den Münchner Philharmonikern hatte er dazu nun in der Isarphilharmonie Gelegenheit, die er eindrucksvoll nutzte. Nicht nur musikalisch drückt er dabei dem Abend seinen Stempel auf, auch konzeptionell trägt dieses Konzert seine ganz individuelle Handschrift.

Programmatisch durchdacht

Das fängt schon an beim Aufführungsrahmen, in dem er das hoch anspruchsvolle und durchaus komplexe Programm ohne Pause durchspielen lässt – was aber deswegen problemlos funktioniert, weil der musikalische Spannungsbogen in seiner gesamten Reichweite nicht abreißt. Dazu trägt wiederum die Tatsache bei, dass er die Werke nach genau durchdachten Ideen miteinander verbindet, wozu er sie für einen harmonisch stimmigen Übergang auch schon mal transponiert. So im Fall von Mozarts frühem „Kyrie“ KV 90, das sich auf diese Weise als Bindeglied zwischen die c-Moll-Messe KV 427 und die „Maurerische Trauermusik“ in derselben Tonart einfügt. Letztere präsentiert er in einer von ihm selbst rekonstruierten Fassung für Männerchor und Orchester. Das zeigt, wie intensiv er sich auch mit musikhistorischen und -praktischen Fragen auseinandersetzt. Auch bei der unter bis heute ungeklärten Umständen unvollendeten c-Moll-Messe entscheidet Pichon sich nicht unreflektiert für irgendeine althergebrachte Fassung, sondern orientiert sich an der Ausgabe von Richard Maunder, der die Holz- und Bläserstimmen im „Credo“ ergänzt hat.

Klanglich flexibel

Wie anhand all dessen unschwer zu erkennen ist, setzt Pichon programmatisch einen überwiegend geistlichen Scherpunkt. Den genannten Werken Mozarts stellt er zwei Kompositionen von Schubert voran: Ying Fang (Sopran), Ema Nikolovska (Mezzosopran) und Robin Trischler (Tenor) tragen eingangs den Kanon „Lacrimosa con io“ für drei Singstimmen D 131b vor. Alle drei Solisten, besonders Fang in ihren eindringlich auf den Punkt gebrachten Anfangstakten, stellen schon hier ihre individuelle Klasse ebenso unter Beweis wie ihre Fähigkeit, kommunikativ aufeinander zu hören. Als einziges rein orchestrales Werk erklingt danach Schuberts Symphonie Nr. 7 h-Moll D 759, besser bekannt als „Unvollendete“. Musikalisch lässt Pichon hier trotz des Attributs keine Fragen offen. Im Kopfsatz kreiert er bis in feinstes Pianissimo differenzierende Nuancen, auf die klangliche Flexibilität der Philharmoniker kann er sich verlassen, die Intensität des gemeinsamen Musizierens lässt nicht nach. Der zweite Satz wirkt nicht, wie oftmals zu hören, künstlich sentimental zerdehnt, sondern ist ein echtes, agogisch griffiges „con moto“. Alexandra Gruber meistert bestens das Klarinettensolo.

Gesangliche Erfahrungswerte

Der Philharmonische Chor München kann sich erstmals in der oben genannten Bearbeitung der Mozart´schen „Trauermusik“ auszeichnen, Pichon formt geschärfte Konturen, die er klanglich souverän ausbalanciert elegisch pulsieren lässt. Die reichhaltigen eigenen gesanglichen Erfahrungswerte merkt man seinem Dirigat jederzeit an. Beeindruckend sind die chorisch präzisen A-Cappella-Sphären des „Miserere mei“, der besagten Bearbeitung des frühen „Kyrie“. Die orchestral subtile, Steigerungen gekonnt aufbauende Stimmbehandlung zeigt sich zu Beginn der c-Moll-Messe, Fang erhebt ihr alsbald einsetzendes Solo mit extrem beweglicher und dynamisch subtil gestaltender Stimme in die himmlisch schönen Mozart´schen Sphären. Im „Laudamus te“ überzeugt Nikolovskas warmes Mezzo-Timbre, im „Domine Deus“ harmonieren beide bestens. Das „Gratias“ hat die nötige dramatische Schwere und schmerzlich aufgeladene Spannung – die kommt dem „Qui tollis“ als einzigem musikalisch nicht überzeugendem Ansatz Pichons durch ein viel zu schnelles Tempo leider fast vollständig abhanden. Im „Quoniam“ sind Fang, Nikolovska und Tritschler im regen solistischen Austausch. Das „Jesu Christe“ demonstriert polyphone Maßarbeit. Nur ganz kurz ist das Orchester der Sopranstimme im „Et incarnatus est“ zu weit voraus. Im „Benedictus“ dürfen dann endlich alle vier Solisten einschließlich Christian Immler (Bass) auf hohem, größtenteils hörbar Alte-Musik-erprobtem Level interagieren, bevor ein kontrapunktisch präzise strahlender Chorsatz einen konzeptionell und musikalisch exquisiten Abend beschließt.

Kritik von Oliver Bernhardt

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