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Dienstag, 28. November 2023

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Szenenfoto, Copyright: Wilfried Hösl

Szenenfoto, © Wilfried Hösl

Evgeny Titovs Figaro an der Bayerischen Staatsoper

Ganz legaler Rausch

2017 kam Christof Loys „Figaro“-Inszenierung auf die Bühne des Nationaltheaters, seit vergangener Woche ist sie schon wieder Geschichte. Gleich eine ganze Reihe von Debüts gab es dafür bei der Premiere von Evgeny Titovs neuer Fassung zu erleben, neben seiner eigenen liefern erstmals Annemarie Woods (Bühne und Kostüme) und D.M. Wood (Beleuchtung) Arbeiten an der Bayerischen Staatsoper ab. War bei Loy – wie gewohnt – die Bühne karg und auf rudimentäre Grundideen reduziert, ist Titovs Ansatz deutlich facettenreicher und üppiger ausgestattet. Titov kommt schwerpunktmäßig vom Schauspiel her, mit Musiktheater hat er sich bis dato vergleichsweise wenig befasst. Übergeordnetes Motiv seines Konzepts: Eine – durchaus offensiv – erotisch aufgeladene Atmosphäre, die über sonst oft übliche Anspielungen weit hinausgeht. Handfeste Accessoires aus der Abteilung Sado-Maso werden hier unmissverständlich präsentiert, keine der Figuren hält mit ihren Begierden hinter dem Berg. Im Fall des Grafen Almaviva kann man sogar unverhohlen von Sexbesessenheit sprechen, um die denn auch die Handlung kreist.

Plakativ, nicht plump

Plakativ ist das manchmal durchaus, plump und aufdringlich aber nie, sondern stets gepaart mit mal vorder-, mal hintergründigem Humor und feinen ironischen Spitzen. Zweite vorherrschende Zutat: Der Konsum (weicher) Drogen. Die Gartenszene spielt passend dazu in einer ausgewachsenen Hanfplantage, von Zeit zu Zeit gönnen sich die Protagonisten ganz gerne mal einen Joint. Drogensucht im Figaro? Da war doch erst kürzlich was, wird sich da mancher vielleicht denken. Stimmt: Das hatte zuletzt auch Martin Kušej den handelnden Personen in Verbindung mit einer Neigung zu Waffengewalt in Salzburg unterstellt. Tatsächlich hat auch hier der Graf eine Pistole im Safe, mit der er auch schon mal um sich ballert. Bei Titov läuft das Ganze allerdings wesentlich subtiler ab, über Leichen geht hier niemand, die Devise „Sex and Crime“ wird nicht zum Exzess stilisiert und rein auf diese Ebene reduziert. Titov liefert vielmehr das, was man von einer echten Opera buffa erwartet: Tempo, Witz und Esprit – unterm Strich gut gemachtes Theater, das die Verwirrungen und Intrigen der turbulenten Handlung auf den Punkt bringt.

Vitalisierender Mozartklang

Sehen lassen kann sich nicht nur das erfrischende Regiekonzept, an dem das Publikum ersichtlich Spaß hat. Auch das Gesangspersonal macht eine gute Figur. Elsa Dreisig gibt eine Gräfin, die über anrührend sensible Kantilenen ebenso verfügt wie über tatkräftig entschlossenes Temperament. Louise Alder singt die Partie der Susanne beweglich und höhensicher, gemeinsam mit Dorothea Röschmann als Marcellina bündeln diese drei Damen auch das stimmlich größte Volumen. Huw Montague Rendall verkörpert schauspielerisch fulminant einen selbstgefällig am eigenen Ego und besagten Drogen berauschten Grafen, dem allerdings – ebenso wie Konstantin Krimmel in der Titelpartie – etwas die dynamische Durchschlagskraft fehlt. Die hat wiederum Tansel Akzeybek als Basilio. Avery Amereau überzeugt als quirlig-ubiquitärer Cherubino. Nicht mehr als ein paar Takte hat Seonwoo Lee als Mitglied des Opernstudios zu singen – lässt damit aber äußerst vielversprechend aufhorchen. Generell verlangt Titov darstellerisch viel von seinen Figuren – alle Akteure lösen das spielfreudig ein. Genau das, was man sich von einer rasanten Buffo-Komödie verspricht, vermittelt auch das Orchester – und avanciert damit zum heimlichen Star des Abends. Stefano Montanaris Dirigat setzt kontinuierlich spritzige Impulse und sorgt für den nötigen musikalisch turbulenten Drive. Er lässt aber nicht nur die Gute-Laune-Korken knallen, sondern schafft auch Raum für intime kantable, emotional konzentrierte Momente. Montanari, der aus der barocken Originalklang-Ecke kommt, findet zu einem wunderbar schwerelosen Mozartklang und füllt buchstäblich jede Phrase mit Leben. Diagnose: Dieser Rausch ist völlig legal, Titovs neue „Figaro“-Droge kann man bedenkenlos rezeptfrei und mit garantiert vitalisierender Nebenwirkung konsumieren.

Kritik von Oliver Bernhardt

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