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Dienstag, 28. November 2023

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Szenenfoto, Copyright: Wilfried Hösl

Szenenfoto, © Wilfried Hösl

Madama Buttefly an der Bayerischen Staatsoper

Gedeckelte Emotionen

Es gibt Produktionen, die schon so lange laufen, dass sie fast schon zum Inventar eines Hauses gehören. Margarethes Wallmanns Wiener „Tosca“ und der dortige „Rosenkavalier“ von Otto Schenk, der in München inzwischen übrigens abgelöst wurde, gehören dazu. Die älteste laufende Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper ist – noch vor August Everdings 1978er-Zauberflöte – Wolf Busses „Madama Butterfly“, die 1973 Premiere hatte. Alle genannten Arbeiten haben eines gemeinsam: Sie sind nicht nur echte Klassiker, die Theatergeschichte geschrieben haben, sie besitzen in ihrer Bühnenästhetik und Bildersprache auch zeitlose Gültigkeit. Genau das trifft auch auf diese „Butterfly“ zu, so ziemlich alles an deren Regiekonzept ist authentisch und steht, angefangen von den Kostümen, über farb- und detailreich gestaltete Ausstattung bis hin zum japanischen Kolorit des ausdrucksstark in sich ruhenden holzschnittartigen Bühnenbilds von Otto Stich im völligen Einklang mit dem Libretto. Mit negativ konnotierten Attributen wie „angestaubt“ oder „museal“ mögen das manche versehen. Die treffen aber nicht zu. Produktionen, die die von Komponist und Textdichter intendierte Geschichte so unmittelbar und passgenau erzählen, sind vielmehr selten geworden. Figuren hängen hier nirgendwo in der Luft, sondern sind ebenso präzise individuell charakterisiert wie schlüssig aufeinander bezogen. Auf einen simplen Nenner gebracht: Das Konzept überzeugt restlos, „Verfallsdatum“: Fehlanzeige.

Starke Stimmen

Sonya Yoncheva hätte ursprünglich die Partie der Cio-Cio-San singen sollen, bereits die vorangegangene Vorstellung hatte sie krankheitsbedingt absagen müssen. War sie fünf Tage zuvor noch durch Izabela Matula ersetzt worden, springt an diesem Abend die hoch schwangere Elena Stikhina für sie ein, die entsprechend an manchen Stellen Vorsicht walten lässt und stimmlich und physisch entsprechend nicht aufs Ganze geht. Einige Töne hält sie vergleichsweise kurz, vereinzelt unterschlägt sie Spitzentöne, in der Mittellage hat ihre Stimme dennoch gewohnt raumgreifendes, schlank phrasierendes Volumen. Herausragend unter den Darstellern ist Boris Pinkhasovich, der einen Sharpless mit baritonal glänzender Strahlkraft gibt. Stark agiert auch Ya-Chung Huang, der sich als Goro Nakodo für tragendere Rollen empfiehlt. Freddie De Tommaso ist ein solider Lieutenant B.F. Pinkerton, dem nur selten der lange Atem fehlt und der lediglich in hohen Registern mitunter ein bisschen gepresst klingt. Seine final betroffene Reue („Addio fiorito asil“) kauft man ihm ehrlich ab. Stellvertretend für eine gute Ensembleleistung steht das Terzett von Sharpless, Pinkerton und Suzuki,  überzeugend und emotional involviert gesungen von Annalisa Stroppa. Verhältnismäßig blass bleibt leider Christian Rieger als Yamadori, auch Alexander Köpeczi bleibt als Onkel Bonzo leider unter seinen hoch talentierten Möglichkeiten.  

Orchestrale Defizite

Hauptursache dafür, dass die „Tragedia giapponese“ das Drama der Handlung nicht in dessen ganzem Ausmaß erfasst, rührt aus dem Graben her.  Eine stimmige Chemie zwischen Staatsorchester und Dirigent Daniel Oren kommt – egal, wie gestenreich er auch versucht, auf die Musiker einzuwirken – einfach nicht zustande. Ob symptomatisch im ausgedehnten Zwischenspiel vor dem dritten Akt oder generell überall da, wo emotionale Wellen hochschlagen, kratzt der Orchesterklang nur an der Oberfläche der Partitur, ja wirkt seltsam unbeteiligt. Klangfarben leuchten nicht, die Koordination mit den Singstimmen ist manchmal ungenau. Gemütszustände wie Verzweiflung, Euphorie, Wut oder Trauer finden orchestral kaum statt, Orens Dirigat versäumt es zu oft, Spannungsmomente zu kreieren. Selbst die sich fatal zuspitzenden Momente, in denen Butterfly die niederschmetternde Wahrheit erfährt und sich schließlich in ihr final resignierendes Schicksal ergibt, bleibt das Orchester schuldig. Über die Ursache dafür, weshalb Klangkörper und Bühnengeschehen an diesem Abend so gar nicht zusammenfinden, lässt sich nur spekulieren. Tatsache ist, dass dieser Umstand dem Abend leider vieles von dem nimmt, was mit einer so exquisiten Besetzung eigentlich möglich gewesen wäre. Vor allem auch mit einem Orchester, das erst jüngst frisch gekürter Seriensieger in der Kategorie „Opernorchester des Jahres“ wurde.

Kritik von Oliver Bernhardt

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