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Freitag, 22. September 2023

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Manfred Honeck dirigiert das Seoul Philharmonic Orchestra, Copyright: Seoul Philharmonic Orchestra

Manfred Honeck dirigiert das Seoul Philharmonic Orchestra, © Seoul Philharmonic Orchestra

Das Seoul Philharmonic Orchestra unter Manfred Honeck

Musikalisches Psychogramm

In wenigen Tagen feiert Manfred Honeck seinen 65. Geburtstag. In der Woche zuvor ist der weltweit viel beschäftigte, seit 2008 amtierende Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra in Südkorea unterwegs. Zwei Mal steht er dabei am Pult des Seoul Philharmonic Orchestra, am ersten der beiden Abende in der Lotte Concert Hall. Seit seinem Debut im Jahr 2019 ist er dem Hauptstadtklangkörper verbunden, am ersten Programmpunkt des Abends ist er nicht nur als Dirigent, sondern auch schöpferisch selbst beteiligt: Im Jahr 1900 hat Antonín Dvořák eine Orchesterfantasie über Themen aus seiner Oper „Rusalka“ geschaffen, von Honeck und dem tschechischen Komponisten Tomáš Ille stammt diese erweiterte Fassung. Unmittelbar und mit erzählerisch einfühlsamem Gespür für das symphonische Narrativ lässt er klangfarblich märchenhafte Kräfte wirken. Mit bedrohlicher Intensität taucht das Motiv der Hexe Ježibaba auf, in romantisch schimmerndes Licht hüllt er Rusalkas „Lied an den Mond“, exzellent vorgetragen ist das Violinsolo des Konzertmeisters. Rhythmische Präzision und ein organisches Klangbild zeichnen das deskriptive Spiel des Seoul Philharmonic Orchestra aus. Mit kernig strahlendem Blech steuert das musikalische Geschehen auf das tragische Ende zu.

Programmatisch ausdrucksstark

Schon zu seiner Zeit als Generalmusikdirektor an der Staatsoper Stuttgart hat Honeck mit der südkoreanischen Sopranistin Sunhae Im zusammengearbeitet, seither haben beide regelmäßig miteinander musiziert. Den Beinamen „Symphonie der Klagelieder“ trägt Henryk Góreckis (1933-2010) 1976 entstandene Symphonie Nr. 3 op. 36. Der zweite, „Lento e largo – tranquillissimo“ überschriebenen Satz daraus folgt als nächstes, Honeck und das Seoul Philharmonic kreieren dabei eine elegisch freischwebende Atmosphäre. Im Einklang mit Sunhae Ims schlanker, höhensicherer Phrasierung bilden sie den verletzlichen Seelenzustand des Stücks, dem die Abschiedsworte eines unter dem NS-Regime todgeweihten jüdischen Mädchens an seine zurückbleibende Mutter zu Grunde liegen, programmatisch ab. Ausdrucksstark zieht sich die Musik ins entschwindende Nirgendwo zurück. In Richard Strauss´ „Morgen“ überzeugt Sunhae Im durch gestalterische Intensität und hohe Textverständlichkeit, wiederum liefert der Konzertmeister ein glänzendes Violinsolo ab. In Mozarts Motette für Sopran und Orchester “Exsultate, jubilate“ KV 165 weist ihre auf barockes Repertoire spezialisierte Stimme nicht ganz die Eignung für die Koloraturen auf, der Bruststimme fehlt es ein wenig an Volumen. Hingegen überzeugt Honecks schwereloser Mozart-Klang, das Seoul Philharmonic Orchestra setzt feinfühlige dynamische Impulse.

Emotionaler Sog

Nach der Pause folgt Tschaikowskys, von ihm selbst mit dem Beinamen „Pathétique“ versehene Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74. Schon in der „Adagio“-Introduktion lässt Honeck tiefgreifend in die seelischen Abgründe dieses musikalischen Psychogramms blicken, im bewegten weiteren Verlauf des Kopfsatzes führt er den Klangkörper zu spannungsgeladener, rhythmisch elastischer Präzision. Warm timbrierte Streicher werden umrahmt von kraftvollem Blech. Ein agogisch facettenreiches Innenleben erhalten die Walzerklänge des zweiten Satzes, immer wieder schlägt die rauschhaft wogende Fieberkurve nach oben aus. Ein scharf geschnittenes, passgenau an die Akustik des Saals angelehntes Profil hat das „Allegro molto vivace“, Honecks Phrasierung besitzt ein Maximum an Spannkraft. Mit angemessen großer Geste arbeitet er die resignative Verzweiflung des Schlusssatzes bis in die tiefschwarzen Bass-Regionen heraus, unweigerlich zieht diese erstklassige Interpretation den Hörer in ihren emotionalen Sog.

Kritik von Oliver Bernhardt

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