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KNSO, Oksana Lyniv, © Sihoon Kim
Das Korean National Symphony Orchestra im Seoul Arts Center
Permanente Präsenz
1985 wurde das Korean National Symphony Orchestra gegründet, den heutigen Namen trägt es seit 2022. Seit seinen Anfängen hat es sich zu einem der führenden südkoreanischen Klangkörper entwickelt, der mit vielen renommierten Dirigierpersönlichkeiten der Gegenwart zusammenarbeitet. Dazu gehört auch das Südkorea-Debüt von Oksana Lyniv, die bei diesem Auftritt im Seoul Arts Center am Pult steht. Im Vorjahr wurde sie als erste Frau in Italien zur Generalmusikdirektorin am Teatro Comunale di Bologna ernannt und nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf ihr Heimatland tritt sie als dessen engagierte Botschafterin auf. 2017 hat sie das Ukrainische Jugendsymphonieorchester gegründet. Am Beginn des Programms steht ein Werk ihres in Deutschland lebenden und lehrenden Landsmanns Jewgenij Orkin. „Night Prayer“ heißt das etwa zehnminütige Stück. Dessen musikalische Substanz kreist um ein Grundmotiv, eingangs in der Soloviolinstimme expressiv vom Konzertmeister vorgetragen. Unter Lynivs Leitung erhält es durch das KNSO seine weiterführende, sphärisch vielgestaltig schwebende, dynamisch anwachsende und abnehmende Intensität.
Geigerische Glanzpunkte
Der armenische Geiger Sergei Chatschatrjan ist Solist in Aram Chatschaturjans 1940 entstandenem Violinkonzert d-Moll. Von den ersten Takten an hört man, weshalb er im Alter von 15 Jahren als jüngster Teilnehmer aller Zeiten den Sibelius-Wettbewerb in Helsinki und 2005 den Concours Reine Elisabeth gewann: Mit makelloser Technik stellt er das erste, rhythmisch gezackte, folkloristisch geprägte Thema vor, mit immenser lyrischer Intensität fühlt er sich im weiteren Verlauf in die emotionalen Affekte des Soloparts ein. Oksana Lyniv stellt eine gute Balance zwischen Orchester und Solopart her, rhythmisch griffig markiert das KNSO die dynamisch voluminösen Ausbrüche. Höchstes klangliches Einfühlungsvermögen beweist Chatschatrjan im Dialog mit der Solo-Klarinette, in der solistisch hoch anspruchsvollen Kadenz kommt seine überlegene Technik ganz ohne Zurschaustellung, ganz im Dienst beseelten Musizierens zum Tragen. Mit leuchtend klarem Ton und vielseitigem Vibrato gestaltet er die pulsierenden Kantilenen des „Andante sostenuto“, mit hoher Phrasierungsintensität erzeugt das KNSO parallel dazu kantable Schwingungen und hält Spannung auch über der ausführlichen Pizzicato-Passage hoch. Angetrieben von perkussiven Akzenten und resoluten Blechimpulsen, kann das “Allegro vivace“ seine ganze vitale Kraft entfalten. Chatschatrian trifft die tänzerisch-virtuose Geste des Satzes mit mitreißender Verve, durchgehend besticht sein Spiel durch ebenso präzise wie prägnante Artikulation. Besser kann man diese geigerische Herausforderung kaum meistern, das sieht auch das begeisterte Publikum so. Schwer nachvollziehbar ist sein im Vergleich zu vielen ungleich prominenteren Namen geringerer Bekanntheitsgrad. Als Zugabe bedankt sich Chatschatrian mit einer armenischen Volksweise, ein bis in filigranste Flageolett-Sphären ergreifendes musikalisches Bekenntnis.
Mitreißendes Temperament
Nach der Pause folgt Sergej Rachmaninoffs Symphonie Nr. 2 e-Moll op. 27. In der „Largo“-Introduktion begeistert das KNSO durch schwelgerische Streicherfülle, das Englischhorn-Solo steht für die exzellenten Fähigkeiten der Instrumentalisten. Auch in der Folge hat Lynivs Dirigat eine permanent präsente Ansprache, mit der sie das Orchester zu stringenter Phrasierung und organisch gesättigten Klangfarben führt. Souverän trifft sie den temperamentvollen Nerv von Rachmaninoffs Musik, wo nötig mit der gehörigen, aber nie überdosierten Portion Pathos (Allegro molto), mit sattem romantischem Streicher-Schmelz im „Adagio“ und mitreißendem rhythmischem Drive in den agogisch turbulenten Passagen. Mit akkurater Stimmführung meistert das KNSO die polyphonen Elemente. Die Chemie zwischen Lyniv und den Musikern stimmt, immer wieder durchzogen von sublimen Holzbläser-Soli und – bis auf einen verrutschten Trompeteneinsatz zum Ende des dritten Satzes – fein justiertem Blech. Mit energetisch aufgeladener Leidenschaft vollzieht sich die klanggewaltige Offensive des Schlusssatzes. Einhelliger Jubel für Lyniv und ein glänzend aufgelegtes KNSO.
Kritik von Oliver Bernhardt
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"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
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