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Christian Tetzlaff, © Giorgia Bertazzi
Rouvali dirigiert Elgar und Tschaikowsky
Großer Ton
Mit dem ausladenden Violinkonzert in h-Moll op. 61 von Edward Elgar (1857-1934) und der Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 von Peter Tschaikowsky (1840-1893) standen an diesem Sommerabend im Großen Saal der Elbphilharmonie zwei Schwergewichte auf dem Programm, die für den großen sinfonischen Ton der Spätromantik stehen. Zwei Schwergewichte, denen die Akteure im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals und in Gestalt des Philharmonia Orchestra unter Chefdirigent Santtu-Matias Rouvali sowie Christian Tetzlaff als Solist jedoch mehr als gewachsen waren. Mag der finnische Lockenkopf Rouvali hierzulande noch als Geheimtipp gelten, sieht es in England ganz anders aus, wo man ihn 2021 zum Chefdirigenten des Philharmonia Orchestra ernannt hat. Erst 37 Jahre alt, legte der aus Tampere Stammende mit dem Londoner Traditionsorchester einen expansiven Tschaikowsky hin, der vor kantabler Expressivität nur so überquoll, zugleich aber von individuellem Zugriff und hoher Reife zeugte. So ließ er die Klarinetten bei der dritten Wiederholung des zweiten Themas im Kopfsatz mit hoch gerichteten Instrumenten jodeln, ein schöner Wink in Richtung Mahler. Im Walzer-Satz ließ Rouvali mit wohlüberlegten Temposchwankungen in den Holzbläsern aufhorchen, während zu Beginn des „Andante Cantabile“ dunkle Streicherflächen dem thematischen, tief empfundenen Hornsolo gleichsam den Teppich ausrollten. Im Finale brachen dann schließlich alle Dämme, Rouvali verstand es, die sinfonischen Kräfte auf den großen Durchbruch hin zu bündeln. Den anschließenden Jubel belohnte man mit der elektrisierend gespielten „Polonaise“ aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“.
War es bei so vielem großem, überwältigenden Ton dem Publikum zu verdenken, dass es auch zwischen den Sätzen klatschte (leider eine Unart, die gerade zur neuen allgemeinen Gewohnheit mutiert)? Unfreiwillig komisch, wie bei Loriot, war es jedoch, als im „Andante“ mitten in die Generalpause hinein geklatscht wurde, nachdem im Tutti das sogenannte ‚Schicksalsmotiv‘ durchbrach. Um so etwas zu vermeiden, wäre es vielleicht ratsam, der Ansage zu Konzertbeginn, das Handy stummzuschalten, noch die Bitte hinzuzufügen, erst dann zu klatschen, wenn das Stück wirklich vorbei ist.
In der ersten Hälfte zeigte der Hamburger Christian Tetzlaff nicht nur dank seiner bloßen interpretatorischen Dominanz, dass er in der Lage ist, dem Elgar-Konzert seinen Stempel aufzudrücken, durch die Vielseitigkeit seiner Gestaltung entschlüsselte er auch im Miteinander mit dem Philharmonia Orchester das dichte Gewebe dieses Ungetüms von einem Konzert, das schon allein vom Umfang her auch als Sinfonie durchgehen könnte. Indem er das erste Thema in der Exposition dicht am Steg spielte und dabei höchst intensiv agierte, setzte er es in starkem Kontrast zum idyllischen Seitenthema, das er am Griffbrett und geradezu ‚flüsternd‘ gestaltete. Überhaupt wirkte Tetzlaffs Vortrag überaus sprechend und musikantisch, ohne Scheu vor ‚kratzbürstigen‘ Doppelgriffen und geräuschhaften Einfärbungen, die das virtuose Element bereicherten. Da das Philharmonia Orchester das Werk seines Landsmannes aus dem Effeff kannte, verlor man im schillernden Farbengewirr von Elgars reicher Orchestrierung auch nie den Überblick. Dass Tetzlaff nicht nur den großen, spätromantischen Ton beherrscht, zeigte er nach großem Applaus dann mit einer Zugabe aus den Sonaten und Partiten Johann Sebastian Bachs.
Kritik von Dr. Aron Sayed
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