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Szenenfoto, © Oliver Vogel
Sechs Wochen Oper und mehr in Ostwürttemberg. Marcus Bosch am Pult
Opernfestspiele Heidenheim glänzen mit Don Carlo
Die Premiere von Giovanna D´Arco verlief denn auch zu seiner großen Zufriedenheit, wie er auf der anschließenden üppigen Premierenfeier kundtat. Nichts desto trotz hatte es allerdings hier und da noch in manchem Detail der Premierenvorstellung geruckelt, insbesondere beim ausführenden Orchester, der eigens für die Festspiele rekrutierten „Cappella Aquileia“, die sich aus Musikern zahlreicher europäischer Profi-Orchester zusammensetzt. Der Klang war da noch nicht so ganz ausgefeilt, voll und süffig, wie später bei der zweiten Vorstellung zwei Tage später. Auch gab es zur nicht ganz schlüssigen Inszenierung Ulrich Proschkas einigen Diskussionsbedarf, da er das Operngeschehen des 1845 in der Mailänder Scala uraufgeführten „Dramma lirico“ Verdis in eine Irrenanstalt verlegt hatte und Johanna als psychisch „Kranke“ gefesselt im Rollstuhl porträtierte. Von Verdis historischer Konzeption und auch vom religiösen Duktus des Werkes blieb so wenig übrig. Dafür aber traten die Sänger stimmlich gut geölt in den Ring: Sophie Gordeladze sang die weibliche Protagonistin mit ausschmückendem, vibratoreichem italienischen Belcanto. Auch ihre Koloraturen, die es in den Arien dieses noch frühen Verdi-Opus gab, beeindruckten. Ihre Schwert & Schild - Arie versprühte Stolz. Feuer und Flamme des Sieges vermittelte auch die Duett-Arie mit ihrem Bühnenvater Giacomo, den Luca Grassi ernst und zugleich mit dem nötigen Pathos mimte. Er, der zunächst den vermeintlichen Verrat seiner Tochter rügt, muss später ihre Unschuld erkennen, selbst wenn es dann zu spät für ihre Rettung ist. Diese Tragik stellte Grassi kongenial dar. Unterstützung fand die streckenweise sehr spannende Darstellung durch das Lichtdesign Hartmut Litzingers mit teils drastischen Schnitten von dunkel nach hell und durch die wechselnden Farben. Sehr überzeugend klang Héctor Sandovals Carlo VII. Der mexikanische Tenor zeigte Gefühle von Liebe bis Unverständnis jeweils mit frischester Stimme. Der Konflikt der Tochter, zwischen Vater und potentiellem Ehemann (Carlo) wählen zu müssen, spielt eine tragende Rolle in diesem Drama. Ein Aspekt der vielleicht noch zu wenig herausgearbeitet wurde. Andererseits gab es einige unverständliche Kostümierungen. Das englische Heer in Arztkleidung antreten zu lassen und viel Karnevalskostüme für die Franzosen lenkten den Fokus von der tobenden Kriegsmaschinerie ab. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn zeigte sich aber in allen Belangen seiner Aufgabe gewachsen. Die Thematik Krieg war im Hinblick auf den laufenden Krieg in der Ukraine berechtigt gewählt. Die Premiere wurde mit langanhaltendem Applaus gewürdigt.
Ebenfalls um Krieg (gegen Flandern) und zusätzlich einen handfesten Vater-Sohn-Konflikt (Philipp II. schnappte seinem Sohn aus politischen Gründen die Braut weg!) geht es bei Don Carlo. Diese Oper - gespielt wurde die vieraktige 1884er Mailänder Fassung - gefiel noch besser als Giovanna D´Arco, weil sie ihrer Anlage nach stimmiger und auch durch das Sujet ein Meisterwerk ist. Was im Frühwerk erst in Ansätzen geformt ist, bringt der Komponist hier zur Vollendung. Da glänzte vor allem das agilere und größer besetzte Orchester der Stuttgarter Philharmoniker, dem Marcus Bosch an diesem Abend einen deutlich schlagkräftigeren Klang und eine breitere Dynamik entlocken konnte. Die Inszenierung Georg Schmiedleitners geht in soweit in Ordnung, als dass er am ursprünglichen Geschehen festhält und die Figuren - teils nicht ohne Humor - ihrem Wesen nach klar zeichnet. Dafür verdient er großes Lob. Ob es allerdings richtig war, den Großinquisitor in ein weißes Conchita-Wurst-Brautkleid (Kostüme: Michaela Kirn) zu stopfen, sei dahingestellt. Passend war es nicht. Die Schrecken einflößende Stimmgewalt Randall Jakobsh dafür umso mehr. Das junge Paar Elisabeth (charmant: Lada Kyssy) / Don Carlo (solide: Sung Kyu Park) trug im Duett dramatisch seinen Konflikt vor. Auch das Duo Rodrigo (mit Verve: Ivan Thirion) / Carlo ließ keinen Zweifel an seiner unverbrüchlichen Treue aufkommen. Der König (Pavel Kudinov) stand handlungsmäßig zwischen allen Stühlen, bestand sängerisch aber makellos. Die erotisierte Figur der Eboli wurde von Zlata Kershberg nicht immer mit dem nötigen Fingerspitzengefühl dargestellt. Sängerisch war aber auch sie durchaus stark. Regieeinfälle wie ihr Schlangen-Tatoo auf dem Rücken versuchten ebenfalls vergebliche Anbiederung an den Zeitgeist, konnten der Aufführung aber insgesamt nicht schaden. Das Publikum applaudierte auch hier mindestens 10 Minuten ununterbrochen, nicht zuletzt auch wegen der herausragenden Gesamtleistung des Ensembles. Alles in allem war es eine lobenswert gehaltvolle, überdurchschnittliche Opernaufführung mit spürbarem persönlichem Engagement aller Beteiligter.
Neben den beiden Opernproduktionen bieten die OH noch einen ganzen Strauß an Veranstaltungen: darunter die Junge Oper („Der Zauberer von Oz“), „Woyzeck“ - Eine Pop-up-Oper, Meister- und Galakonzerte, die Mozart-Nacht oder zum Abschluss eine Jazzgala, ein Jazzfrühstück und die "Last Night". Für die nächste Spielzeit ist die Madama Butterfly von Puccini geplant sowie mit "Alzira" ein weiteres Frühwerk von Verdi. Darauf dürfen wir gespannt sein.
Kritik von Manuel Stangorra
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