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Szenenfoto "Aus einem Totenhaus", © Volker Beushausen
Anmerkungen zur Neuinszenierung von Leoš Janáčeks Oper 'Aus einem Totenhaus' in der Regie von Dmitri Tcherniakov
Mittendrin
Einer der ganz besonderen Höhepunkte für Opernfreunde ist die diesjährige Ruhrtriennale: Gemeinsam mit Dennis Russell Davies und den Bochumer Symphonikern, dem Chor der Janáček-Oper des Nationaltheaters Brno, einem großen Gesangssolistenteam und Stuntmen hat Dmitri Tcherniakov die letzte, unvollendete Oper von Leoš Janáčeks "Aus einem Totenhaus“ in Szene gesetzt. Der Neuproduktion liegt der besondere Versuch zugrunde, die Trennung von Publikum und Künstlern aufzuheben. Aus der ehemaligen Gebläsemaschinenhalle für Hochöfen ist ein amerikanisches Hochsicherheitsgefängnis mit Innenhof geworden, eine metallene Gerüstkonstruktion aus drei Stockwerken.
Alle sind sich nah
Als wenn es keine Unterschiede gäbe. Musik, Gesang, Schauspiel, Zuschauen - alles findet in einem Raum statt und die gigantischen Ausmaße der Halle 1 der Jahrhunderthalle Bochum - sie ist 158m lang, 34m breit und 21m hoch - ist wie geschaffen für dieses grandiose Unterfangen.
Gesangssolisten, Stuntmen, Chor und ein Teil des Publikums leben und erleben das Geschehen direkt vom Innenhof aus, während der Rest des Publikums auf die verschiedenen Etagen verteilt ist. Transparenz und Geschlossenheit zugleich. Eine Männergesellschaft. Von Akt zu Akt (1.Akt: Hof, 2.Akt: das Fest, 3.Akt Lazarett) durchwandern wir die gigantische Halle, sind plötzlich Teil einer in sich gefangenen, sozial benachteiligten Gruppe mit der ihr eigenen Empfindsamkeit. Dazu führen Dennis Russell Davies und die Bochumer Symphoniker grandios die Körperlichkeit der Musik Janáčeks vor Augen. Kraftvolle, rhythmisch geschärfte, ostinate Motive aber auch lyrische Momente. Und wir, die Hörer und Zuschauer, sehen und erleben grenzwertige Aggressivität und Gewalt, den unerträglichen Spaß auf Kosten der Schwachen, Verletzlichen. Und erfahren hautnah, was es körperlich und geistig heißt, auf der Bühne darzustellen, zu spielen und zu singen, sich in eine Rolle einzufühlen als wenn es das Alter Ego wäre.
In dieser Männergesellschaft setzt man sich körperlich auseinander, bricht erschöpft zusammen und attackiert erneut. Manchmal stürmen die Massen los, manchmal sind es individuelle Begegnungen. Und Tscherniakov fügt genial die Hoffnung auf Innehalten, sich auf Augenhöhe Begegnen und Zuwendung hinzu. Dazu erzählen Einige episodenhaft aus ihrem Leben. Skuratov (John Daszak) schildert sein früheres, „schönes“ Leben bis er wild tänzerisch gestikulierend und anfallartig zuckend zusammenbricht. Später erfährt man, dass er sich als Soldat in Luisa verliebte, die jedoch mit einem reichen Verwandten verheiratet werden sollte. Er erschoß den Nebenbuhler und bekam lebenslänglich. Šapkin (Alexey Dolgov) behauptet, nur er wisse, was Schmerz sei. Er war bei einem Einbruch erwischt worden und während des Verhörs zog ihm der Kriminalbeamte solange die Ohren lang, bis sie einrissen. Šiškov (Leigh Melrose) verbindet eine gemeinsame Vergangenheit mit Luka (Stephan Rügamer), der eigentlich Filka Morozov heißt. Šiškov macht ihn für den Mord an seiner Frau verantwortlich und will sich an ihm rächen, weil dieser Fake News verbreitete. Luka alias Filka prahlt, den sadistischen Kommandanten eines anderen Lagers mit mehreren Messerstichen getötet zu haben. Er scheint der Boss zu sein, bis ein Politischer namens Alexandr Petrovič Gorjančikov die Bühne betritt. Zunächst von allen verlacht, wehrt er sich, zeigt Grenzen auf, beobachtet, hört zu, bringt dem jungen Underdog Aljeja (Bekhzod Davronov) Lesen und Schreiben bei. Am Ende liegt Luka alias Filka im Sterben und Aljeja wird ins Lagerlazarett gebracht, während Alexandr Petrovič Gorjančikov davon träumt Bagels zu essen und frei zu sein.
Kritik von Ursula Decker-Bönniger
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