Schattenakt La Bayadère - weitere Fotos erst nach 19.6. wg Neubesetzung, © Katja Lotter
Das Bayerische Staatsballett mit La Bayadère
Sinnliche Farbenpracht
1877 wurde „La Bayadère“ von Marius Petipa in St. Petersburg uraufgeführt. Die Änderungen und Bearbeitungen, die dieses Ballett seither innerhalb und außerhalb Russlands erfahren hat, sind kaum zu überblicken, u.a. hat Rudolf Nurejew für Paris eine – allerdings nicht nach seinen ursprünglichen Vorstellungen vollendete – Version geschaffen. Die Partie des Solor tanzte darin 1992 Laurent Hilaire, seines Zeichens jetziger Ballettdirektor in München.
Stimmige Choreografie
1998 wurde die von Patrice Bart stammende Münchner Fassung Version als deutsche Erstaufführung, damals unter der Ägide von Konstanze Vernon, erstmalig gezeigt, vor einem Monat wurde sie im Nationaltheater wieder aufgenommen. Verantwortlich für Bühne und Kostüme zeichnet der Japaner Tomio Mohri, neben indischen enthält das Design auch asiatische Elemente und orientalisch angehauchte Anleihen. Dieser Mix verschmilzt zu einem farbenprächtigen Ganzen, im Zusammenwirken mit atmosphärisch passender Ausleuchtung entstehen märchenhaft-sinnliche Bilder, die wirkmächtig exotisches Flair kreieren. Patrice Barts zu sechs Bildern in zwei Akten verbastelte, in sich stimmige und stilistisch anspruchsvolle Choreografie ist in Teilen an die Petipa-Version angelehnt, auch der als Herzstück geltende „Schattenakt“ darf hier nicht fehlen. Der Charakter des großen klassischen Handlungsballetts bleibt erhalten, dramaturgisch Hand angelegt hat Bart an den Schluss: Nicht nur Nikija und Solor begegnen einander nach dem kollektiven irdischen Untergang im Jenseits – hier gesellt sich Gamzatti in himmlischer Harmonie dazu. Diese abgewandelte Form der Apotheose bleibt indessen der einzige Faktor, der vor dem Hintergrund des zentralen Konflikts zwischen den beiden Rivalinnen nicht stimmig wirkt.
Imaginärer Rollentausch
Unter den Tänzern ragen besonders zwei heraus: Maria Baranova als Gamzatti und Shale Wagman als Goldenes Idol. Baranova gelingt eine nicht nur technisch souveräne, sondern auch darstellerisch durchdringende Deutung, exemplarisch ihre virtuos ausgeführten Soli samt dynamisch wirbelnder Fouettés. Was Sprungkraft, sicherer Aplomb und Körperspannung sind, führt Wagman vor, zu Recht holt er sich am Ende trotz kleiner Rolle den größten Applaus ab. Bei seinen Möglichkeiten würde man eher ihn als Julian MacKay in dessen Rollendebüt als Solor sehen – übrigens auch weit eher als ersten Solisten. Wie MacKay es zu diesem Status gebracht hat, erschließt sich nicht ganz, ihm geht nicht nur die technische Klasse ab, auch in puncto Mimik und Port de bras bleibt er blass. Welten liegen insoweit auch zwischen ihm und Jinhao Zhang, der die Rolle in vorangegangenen Vorstellungen getanzt hatte. Eine solide Leistung liefert Lauretta Summerscales als Nikija ab. An die technischen Fähigkeiten ihrer alternierend besetzten Kollegin Madison Young reicht sie allerdings nicht heran, insgesamt fehlt ihrer Darstellung ein wenig das gewisse rauschhaft exzessive Etwas, das dieser Frauenfigur anhaftet. Dass sie im Pas de deux mit Solor nicht wirklich glänzen kann, geht aber auch auf das Konto ihres Partners, dessen Hebungen etwas schwerfällig wirken. Für höhere Aufgaben empfehlen sich ansonsten Melissa Chapski im Djampe-Solo, Ariel Merkuri im Grand Pas Herren sowie im Grand Pas Damen Carolina Bastos und Maria Chiara Bono – bei ihr sollte es verwundern, wenn sie mittelfristig nicht befördert wird. Das Corps de Ballet überzeugt in den temperamentvollen Gruppenszenen – allen voran in der ästhetischen Symmetrie des „weißen Akts“.
Die Musik stammt von Ludwig Minkus, der u.a. mit „Don Quixote“ die Partitur zu einem weiteren Ballett-Klassiker lieferte. Das Staatsorchester unter Leitung von Michael Schmidtsdorff liefert einen verlässlich homogenen Klang aus dem Graben, der an den richtigen Stellen dynamische Akzente setzt. Instrumental ragen Flöte und Harfe heraus. Bleibt zu hoffen, dass diese Produktion dem Münchner Spielplan noch lange erhalten bleibt, und nicht dem mancherorts fast schon hysterisch um sich greifendem „Cancel culture“-Aktionismus anheimfällt. Diskussionen darüber gab es im Umfeld der Wiederaufnahme schon, mit den vorgenommenen moderaten Eingriffen sollte es aber wirklich getan sein. Denn letztlich sollte das Stück bleiben, was es ist: Ein exotisch-fantastisches Märchen, das man im Spiegel seiner Entstehungszeit betrachten und vor einer Überkontextualisierung schützen sollte. Ansonsten droht irgendwann der historische Kontext selbst verloren zu gehen.
Kritik von Oliver Bernhardt
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