> > > > > 03.06.2023
Samstag, 23. September 2023

1 / 2 >

Noel Bouley (Baron Scarpia), Oksana Sekerina (Floria Tosca), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Copyright: Christian POGO Zach

Noel Bouley (Baron Scarpia), Oksana Sekerina (Floria Tosca), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, © Christian POGO Zach

Stefano Podas Tosca am Gärtnerplatztheater

Seelische Abgründe

Schon die Uraufführung von Puccinis „Tosca“ Anfang 1900 in Rom war ein großer Erfolg, noch frenetischer wurde drei Monate später die Mailänder Premiere unter Leitung von Arturo Toscanini gefeiert. Seither hat sich das Stück als weltweiter Dauerbrenner etabliert, davon zeugen u.a. jahrzehntealte, beim Publikum ungebrochen beliebte Regie-Klassiker wie Margarete Wallmanns nach wie vor auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper stehende Inszenierung von 1958.

Klares Profil

Am Gärtnerplatztheater hatte die kraftvoll-bildgewaltige Arbeit von Stefano Poda im November 2019 Premiere. Ein quer über der Bühne liegendes massives Kreuz symbolisiert als übergeordnetes Motiv gleich im ersten Akt treffend die politisch-gesellschaftliche Schieflage. Auch sonst ergibt sich ein vorherrschend düsteres Bild: Über diesem Rom der Jahrhundertwende liegt ein neblig dampfender, fahl ausgeleuchteter Schleier, die schwarz gewandet aufmarschierende Geistlichkeit und ein Kinderchor mit in blindem Gehorsam verbundenen Augen verbreiten schon auf klerikaler Ebene eine betont ungemütliche Aura. Vollends greifbar werden Zustände von – physischer und psychischer – Gewalt, Macht und omnipräsenter Autorität mit dem martialischen Auftritt Scarpias und seiner faschistischen Schergen. Im zweiten Akt lässt die gekonnte simultane räumliche Darstellung zweier Ebenen das Publikum unmittelbar am Leiden von Tosca und Mario teilnehmen. Dass Poda wie üblich gleich auch selbst für Bühne, Licht und Kostüme verantwortlich zeichnet, erweist sich als klarer Vorteil – erst das Zusammenwirken all dieser Parameter ergibt in der Summe ein so organisch konstruiertes, beklemmendes Gesamtbild. Die Figuren haben allesamt ein klar umrissenes Profil – Poda legt seelische Abgründe schonungslos offen. Nur selten, etwa wenn der Mesner zum Angelus Liegestützen absolviert, wirken Regie-Elemente aufgesetzt. Die hohe Qualität von Podas Konzept und seiner theatralen Ästhetik steht im Einklang mit den hervorragenden „Hoffmanns Erzählungen“, die er ebenfalls am Gärtnerplatztheater inszeniert hat.

Authentische Emotionen

Oksana Sekerina überzeugt in der Titelpartie mit höhensicherem Volumen, ihr „Vissi d´arte“ transportiert exemplarisch authentische, mitreißende Verzweiflung. Alexandros Tsilogiannis benötigt als Cavaradossi im ersten Akt etwas Anlaufzeit, hier wirkt er stellenweise noch etwas kurzatmig. Nach der Pause steigert er sich aber deutlich, tenoraler Verismo-Schmelz bricht sich bis ins gut gemeisterte „E lucevan le stelle“ Bahn – um die beiden größten „Hits“ herauszugreifen. Ähnlich verhält es sich bei Matija Meić als Scarpia, dem anfangs etwas die Durchschlagskraft fehlt, die sich im weiteren Verlauf aber erhöht. Gewünscht hätte man sich dennoch einen Rollentausch zwischen ihm und Timos Sirlantzis: Dessen stimmlich und darstellerisch raumgreifende Präsenz als Angelotti überzeugt derart, dass man sich ihn als den geradezu prädestinierten Scarpia vorstellt. Vor allem dann, wenn man ihn am Gärtnerplatz schon als radikal-skrupellosen Don Giovanni erlebt hat. Levente Páll und Juan Carlos Falcón liefern solide Partien als Mesner und Spoletta ab. Die am Gärtnerplatz naturgemäß kleinere Besetzung macht das Orchester problemlos durch Präzision und lodernde Glut wett. Oleg Ptashnikov am Pult dreht an den richtigen dynamischen Stellschrauben und holt souverän alle Farben und Emotionen aus der Partitur heraus. Vergleicht man Podas Arbeit mit der Inszenierung von Luc Bondy „nebenan“ im Nationaltheater, kann es nicht um ein „besser“ oder „schlechter“ gehen. Im Gegensatz zu jener ist Podas Ansatz schlicht ein ganz anderer und ein spannender Gegenentwurf, der auf jegliche historisierende Elemente verzichtet. So lange wie der Wiener Wallmann-Klassiker wird sich seine Inszenierung vermutlich nicht halten – ein langes Leben am Gärtnerplatz ist ihr aber hoffentlich trotzdem noch beschieden. Die nächste Münchner „Tosca“ kommt übrigens im Mai 2024 in der Regie von Kornél Mundruczóan an der Bayerischen Staatsoper heraus. Auch dann wird weiterhin der Grundsatz gelten: Variatio delectat – die Münchner Opernlandschaft verträgt ohne Weiteres zwei „Toscas“ nebeneinander.

Kritik von Oliver Bernhardt

Kontakt aufnehmen mit dem Autor

Kontakt zur Redaktion

Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel.

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.


Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (3/2023) herunterladen (4400 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Henri Bertini: Grand Trio op.43 in A major - Menuet. Allegro vivace

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.

"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Sponsored Links

Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich