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Sara Jakubiak (Francesca), Jonathan Tetelman (Paolo), © Monika Rittershaus
Sara Jakubiak und Jonathan Tetelman hauchen (und schreien) „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper Berlin Grandezza und Grausamkeit ein
Zandonais Monument der Sünde, ganz unromantisch
Lassen Sie alle Romantik fahren und die Italianità gleich mit, so könnte – frei nach Dante – über dem ersten Tor zu diesem Abend stehen. Mit seiner „Francesca da Rimini“ hat Riccardo Zandonai ein Werk aus dem Geist der Literatur geschaffen, das aber zugleich einen grellen Expressionismus beinhalten sollte. Diese Mischung, gerade sie, bedarf fähiger Sängerdarsteller, nicht nur weil das Expressive immer als Realismus verstanden werden wird, auch – und mehr noch – weil der Übergang vom dramatischen Wort zum expressiven Ton hier noch einmal neu gemeistert sein will. Sängerdarsteller hatte dieser Abend des 1. Juni allerdings hinreichend viele aufzubieten.
Doch so gut die Darsteller waren, die sich in der Deutschen Oper versammelt hatten, so gab es doch einige Stellen, an denen der Übergang von einem Sinn in den anderen nicht gelang. Das dürfte vor allem der Leitung von Ivan Repušić zuzuschreiben sein, der das Stück in betonter Sachlichkeit begann, stellenweise wie eine Phantasie nach Debussy klingen, aber meist als bunt-aufgekratzten Bilderbogen ablaufen ließ. Das Orchester der Deutschen Oper genoss den konzertanten Stil, um sich mit großer Flexibilität zu präsentieren. Das galt für die beiden ersten Akte. Nach der Pause kehrte dann die Melodie als strukturierendes Prinzip wieder, Italien obsiegte sozusagen, und so gelangen schrittweise auch größere Stimmungskomplexe.
Als wirklicher Fehler von Repušić muss aber die Anweisung zum Schreien angesehen werden, die er immer wieder da gab, wo das Orchester fortissimo zu spielen hat. Eine dynamische Vorschrift, die für Sänger allerdings kaum umzusetzen ist. Es ergab tatsächlich gar keinen Sinn, auch nicht in expressiv-realistischer Absicht, Paolo sein „O mia vita!“, mit dem er Francesca im letzten Bild in tristanischer Ekstase begrüßt, im Più fortissimo schreien zu lassen, wo er es laut Partitur nur im Forte hätte singen sollen. Im Orchester korrespondierte diesem (zweifellos von außen geforderten) Schrei der Sänger ein Fortissimo, das leider zu oft ohne innere Spannung, ohne Vibrieren, also ohne Lebendigkeit blieb.
Dabei war gerade Jonathan Tetelman als Paolo Malatesta überragend in der Lage, seine Melodielinien mit adäquater Bedeutung zu versehen, die vertonten Verse bis in den letzten Leidenschaftslaut auszuleuchten – und dabei auch noch sehr „italienisch“ zu klingen. Genausowenig Anlass für den „Aufschrei“, der ihm offenbar immer wieder nahegelegt wurde, bot der imponierende Bariton Ivan Inverardi als Gianciotto Malatesta mit seinen Schauspiel- und Deklamationskünsten. Charles Workman sang den dritten Bruder Malatestino gut verständlich, aber ohne große Finessen.
Das Bühnenbild von Johannes Leiacker versucht einen Ausgleich zwischen klassischen Vorbildern – vor allem mit dem Gartenprospekt in der Ferne – und einer Inszenierung im Stil der Entstehungszeit. Wir befinden uns sozusagen in einem modernen Herrenhaus, mit Blumentapete und Wintergarten – etwas zu hell all das auch für das Jahr 1914. Auch die schön geschneiderten Kostüme von Klaus Bruns gehen keineswegs in einer Zeit auf. Nur der Spielmann (Dean Murphy mit frisch-starkem Ansatz, aber flachem Piano) trägt sein (gemäß Libretto zerrissenes) mittelalterliches Wams. Später wird er übel zugerichtet von einem Schläger. So wird dem Drama gleich zu Beginn etwas Mafia-Charakter gegeben. Es gehen also Zeiten und Orte wild durcheinander, was nicht schlimm wäre, wenn man wüsste, wozu es dient.
Die langweilig im Blumenmuster tapezierte Vorderbühne bildet dabei eine Art Tor, das sich zu einem schmalen Wintergarten und dahinter zum unzugänglichen Garten öffnet, der in Nebel getaucht einem romantisierenden Bild einer aristokratischen Anlage (etwa aus dem 18. Jahrhundert) gleicht. Im Wintergarten, der am Ende zur tödlichen Falle für Paolo werden wird, ragt gelegentlich die Außenwelt in die Handlung hinein. Sehr lebendig gelang Christof Loy die Choreographie der Schlacht im II. Akt. Die Personenführung bleibt auch sonst sinnvoll bis sinnlich – wie es dem blutigen Mittelalter-Stoff angemessen sein mag.
Im III. Akt springt musikalisch etwas mehr Drama über, doch die Dynamik des Orchesterklangs bleibt noch etwas länger blockartig. Die Schar der Nebendarstellerinnen bricht die Tristesse mit lieblichen Liedern. Hier sind die kristallfrische Meechot Marrero als Biancofiore und Elisa Verzier als Garsenda hervorzuheben. Die Sklavin Smaragdi steuert besonders eindringliche Töne bei, irgendwo zwischen Brangäne und Cherubino. Den stärksten Applaus bekam am Ende Sara Jakubiak, die in der Rolle der Francesca diesen Abend zweifellos zu stemmen hatte. Der Klang ihrer Stimme rundete sich aber – wohl nicht von ungefähr – erst in der zweiten Hälfte, als sich auch das Orchester versöhnlicher und italienischer zeigte. Es blieb aber etwas Flächiges darin zurück, das wie ein Eisberg in diese sinnenheiße Partitur ragte. Die Grandezza ihrer Rolle litt daneben durch die Personenführung: Annäherungsversuche gelangen, wo Francesca sie in Worten abwehrt. Nun ja, das ist wohl eine Versinnlichung des Dramas, und wiederum nimmt so das hohe Mittelalter etwas Modernes an, was vermutlich gewollt ist.
Ähnlich ist es mit der großen Liebesszene, die den ziemlich „Knall auf Fall“ geschehenden Abschluss der Handlung bildet. Loy zeigt sie uns als Monument der Sünde, das direkt auf die Urquelle dieses Dramas, Dantes Inferno, verweist, aber zugleich als Szene aus einem modernen Groschenroman – bleibt sich doch alles irgendwie gleich. Teils, vor allem musikalisch wirkt das allerdings grandios, zumal wenn Tetelman es mit seinen überfließenden Mitteln gestaltet und Jakubiak es ihm in gleicher Münze erwidert.
Kritik von Matthias Nikolaidis
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