> > > > > 10.05.2023
Sonntag, 4. Juni 2023

1 / 5 >

Mao Fujita, Riccardo Chailly, Filarmonica della Scala, Copyright: Oliver Erenyi

Mao Fujita, Riccardo Chailly, Filarmonica della Scala, © Oliver Erenyi

Die Filarmonica della Scala und Mao Fujita in Linz

Umjubeltes Debüt

Ursprünglich hätte Mahler auf dem Programm stehen sollen, ein rein russisches Programm wurde es schließlich, das die Filarmonica della Scala im Brucknerhaus Linz unter Leitung ihres Chefdirigenten Riccardo Chailly präsentierte. Dazu gab es ein Debüt: Erstmalig zu hören war dort der japanische Pianist Mao Fujita als Solist in Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30, in Pianistenkreisen einfach kurz „Rach 3“ genannt. Ein wenig Anlaufzeit benötigen beide Seiten, um zueinander zu finden, in den einleitenden Unisono-Passagen des Klaviers stimmt die Synchronisation mit dem Orchester noch nicht ganz. Das darauffolgende Seitenthema erklingt in der Temporelation etwas verlangsamt, was den musikalischen Fluss kurzzeitig ausbremst. Dann aber funktioniert die Abstimmung besser und besser, das Orchester findet den Zugang zu einem beweglichen, weich gefederten Dialog mit dem Klavier.

Virtuose Blitze

Fujita liefert dazu energetisch aufgeladene Akkordfolgen. Technisch ist er ohnehin über jeden Zweifel erhaben, besonders gut in Solopassagen und der Kadenz hört man, dass das auch auf musikalischer Gestaltungs- und Anschlagsebene gilt: Klangschichtungen bleiben stets sauber und verschwimmen auch an Stellen mit erhöhtem Pedalgebrauch nie. Wuchtiger Vollgriffigkeit kann Fujita jederzeit zartestes Pianissimo folgen lassen. Chailly schafft dazu ein gut ausbalanciertes Klangpolster, ein paar kleine Unsicherheiten im Blech sind da geschenkt. Ein lupenreines Oboen-Solo eröffnet den Mittelsatz, die Streicher erzeugen hohe kantable Intensität, Fujita formt eine bezwingend expressive Linie, die selbst Nebenstimmen deutlich hörbar macht. Repetitionen und Skalen glitzern im Diskant, die emotionale Chemie zwischen Solist und Klangkörper stimmt. Spielend leicht wird Fujita im Schlusssatz mit dem rasanten Tempo fertig. Virtuos elektrisierende Blitze zucken durch den immens schwierigen Solopart des Klavierkonzerts mit den rechnerisch meisten Noten pro Sekunde. Rubati wirken nicht aufgesetzt, sondern entwickeln sich ganz natürlich aus Fujitas begnadeter Musikalität heraus. Sein farbreich schattierter Anschlag kann mühelos sämtliche Formen zwischen sphärisch schwebender Eleganz und vollgriffiger Wucht annehmen. Von elegisch ausgesungenen Kantilenen lässt er sich auf der final schwelgerischen Welle ins Ziel tragen. Das ganz Erstaunliche dabei ist: Genauso gut wie schweres romantisches Virtuosenfutter à la Rachmaninow oder Tschaikowsky kann Fujita, wie er sowohl in zyklischen Aufführungen als auch der herausragenden Einspielungen seiner Sonaten bewiesen hat, Mozart. Überzeugen kann sich das begeisterte Linzer Publikum davon auch in der Zugabe: Im allseits bekannten Kopfsatz der C-Dur-Sonate KV 545 verleiht er mit allerlei eigenen, stilsicher angebrachten Verzierungen selbst Läufen und Alberti-Bässen eine einzigartige individuelle Färbung, gefühlvoller und schwerloser kann man Mozart kaum spielen.

Rarität mit Trauerrand

Auf Fujitas umjubelten Einstand im Brucknerhaus folgt eine weitere Premiere: Igor Strawinskys „Chant funèbre“ op. 5 ist seit Kurzem überhaupt erst bekannt, 2015 wurde die bis dahin lediglich einmal zu Strawinskys Lebzeiten aufgeführte und danach – auch von ihm selbst – lange verschollen geglaubte Partitur wiedergefunden. Das Orchester ist von Beginn an voll da und erzeugt eine hohe atmosphärische Dichte. Reibungslos funktioniert die Stimmübergabe der Bläsergruppen, mit edlem Trauerrand ist die elegische Melodik versehen. Das Plädoyer für diese Rarität überzeugt voll und ganz – bleibt zu hoffen, dass das Stück zunehmend öfter auf den Programmzetteln auftaucht. Es folgt Prokofjews Symphonie Nr. 7 cis-Moll op. 131. Der Kopfsatz hat voluminöse Beweglichkeit, dazwischen behutsam gesetzt sind die subtilen Glockenspiel-Tupfer. Stellenweise lotet Chailly allerdings nicht das gesamte dynamische Potential der wechselnden Abschnitte aus, etwas mehr klangliche Theatralik vom Scala-Orchester dürfte hier und da schon sein. Die nötige Streicherleichtigkeit, gepaart mit einer dezent perkussiv pulsierenden Note besitzt das Walzer-Flair des „Allegretto“. Ein wenig langsamer im Sinne der Satzbezeichnung könnte Chailly das „Andante espressivo“ angehen, den folgenden „Meno mosso“-Abschnitt malt Chailly dagegen in distinguierten Bläserfarben aus, gekonnt erfühlt er den rhythmischen Pulsschlag. Temporeiche Vitalität und erhaben getragenes Pathos vereint der Schlusssatz. Hörbar vermeidet Chailly auf der einen Seite vordergründige Effekthascherei, etwas stärker könnten perkussiven Knalleffekte hier und da andererseits doch zünden. Mit Prokofjews Scherzo und Marsch aus „Die Liebe zu den drei Orangen“ op. 33b verabschiedet sich die Filarmonica della Scala aus Linz. Und kommt hoffentlich bald wieder.

Kritik von Oliver Bernhardt

Kontakt aufnehmen mit dem Autor

Kontakt zur Redaktion

Detailinformationen zum Veranstalter Brucknerfest Linz

Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel.

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.


Magazine zum Downloaden

Class aktuell (1/2023) herunterladen (5900 KByte) NOTE 1 - Mitteilungen (2/2023) herunterladen (5000 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Henri Bertini: Grand Trio op.43 in A major - Allegro

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich