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Sonntag, 4. Juni 2023

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Mária Celeng (Luisa), Carlos Cardoso (Rodolfo), Copyright: Jean-Marc Turmes

Mária Celeng (Luisa), Carlos Cardoso (Rodolfo), © Jean-Marc Turmes

Luisa Miller am Gärtnerplatztheater

Jeder ist sich selbst der nächste

Keinen von Verdis großen „Hits“ enthält seine 1849 in Neapel uraufgeführte Oper „Luisa Miller“. In Deutschland besser bekannt ist die Geschichte der literarischen Vorlage unter dem Titel „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, auf dessen Stoffe Verdi bekanntlich mehrfach (namentlich in „Giovanna d´Arco“, „I Masnadieri“ und „Don Carlo“) zurückgegriffen hat. Zwei Tage nach der Premiere im Gärtnerplatztheater ging die Neuproduktion in abweichender Besetzung über die Bühne. „Liebe – Intrige – Gift“. Auf diese Kurzformel lässt sich die von Verdi selbst aktweise in Schlagworten überschriebene Handlung bringen. In Szene gesetzt hat das Stück in einer Neuproduktion am Gärtnerplatztheater Torsten Fischer. Mit Verdi in München hat er Erfahrung, seine Aida aus dem Jahr 2014 war ein vielbeachteter Erfolg. Mit einer Rückblende lässt er die Geschichte beginnen: Zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, durchschreiten anfangs eine von Krieg und Gewalt durchsetzte Szenerie – ein Trauma mit aktuellen Bezügen, das sie durch ihr weiteres Leben begleiten wird. In der Gegenwart angekommen, finden sie sich in der eigentlichen Handlung, einer ähnlich aggressiv aufgeladenen Welt wieder.

Radikale Bildersprache

Generell basiert Fischers Ansatz auf nüchternen, sachlichen Bildern, durch die sich als eine Art Leitmotiv ein überdimensioniertes, teils gleichzeitig in verschiedenen Größen oder auch mal auf dem Kopf stehendes Frauenporträt zieht, das aber erstens relativ nichtssagend und zweitens schnell überstrapaziert ist. Psychologisch differenziert angelegt sind die Figuren von Fischer nicht wirklich. Wollen sie offenbar aber auch nicht sein, hier wird unmissverständlich radikal in Gut und Böse kategorisiert. Mitunter so radikal, dass die äußerliche Charakterisierung von Fiesling Wurm in Marilyn Manson-Optik schon eher karikierend als bedrohlich wirkt. Eine Spur zu militaristisch angehaucht wirkt Fischers Bildersprache alles in allem, fast schon in mechanisch zielgerichtet vorauseilendem Gehorsam steuert die Personenbehandlung auf den kollektiven Untergang zu. Ein steril unterkühltes Gerüst aus Metallverstrebungen, fremdkörperartig anmutende Glitzer-Outfits, die gelegentliche Reflexion des Bühnenbilds durch einen Deckenspiegel, hier und da eine Prise triviale Schwarz-Weiß-Symbolik – das alles wirkt streckenweise mehr wie die bloße Aneinanderreihung regie-handwerklicher Versatzstücke als wie ein in sich geschlossenes Konzept. Als sei dem Regisseur hier buchstäblich gar nichts eingefallen, wirkt schließlich die kahle schwarze Wand, vor der sich auf der vorderen Bühne das final tödliche Drama abspielt. Rein szenisch betrachtet, scheiden die Charaktere im tragischsten aller Momente relativ unbeteiligt aus dem Leben. Vom Grundton her gut und konsequent herausgearbeitet ist die rücksichts- und kompromisslos von eigenen Egoismen gesteuerte Haltung aller am Drama Beteiligter.

Musikalische Luft nach oben

Die wie so oft beste Stimme am Gärtnerplatz hat mit Alexander Grassauer als Graf Walter leider verhältnismäßig wenig zu tun. Sein kraftvoll-charismatischer Bass bildet zusammen mit Levente Pálls (Wurm) Bariton die voluminös schlagkräftige “Achse des Bösen“. Sogar mit Blut wird deren finsterer Bund martialisch besiegelt. Daneben überzeugt Mária Celeng weitgehend in der Titelpartie, ebenso Jenish Ysmanov als Rodolfo, der lediglich vereinzelt die Intonation ein wenig verfehlt. Zoé Brocard lässt als höhensichere Laura aufhorchen. Anna Agathonos bleibt als Herzogin nicht stimmlich, aber darstellerisch ein wenig blass. Musikalisch durchaus ungewöhnliche Wege hat Verdi schon damals eingeschlagen, das effektvoll eingebaute A-Cappella-Quartett büßt leider durch nicht optimale Synchronisation etwas von seiner Wirkung ein. Durchwachsen gerät die Orchesterleistung. Im dynamischen Verhältnis zu den Stimmen unter der Leitung von Anthony Bramall zwar gut kalibriert, passt doch die Koordination mit Chor und Solisten nicht immer. Auch die Illustration der Handlung wird orchestral nicht immer konsequent zugespitzt. Wozu alle Beteiligten eigentlich fähig sind, zeigt sich im Finale des ersten Akts, das durch stimmstarke Präzision im Miteinander aller Ausführenden besticht. Derlei Anlaufschwierigkeiten können sich aber nach dem Premierenwochenende selbstverständlich noch geben. Das Gärtnerplatzensemble hat ohne Weiteres das Potential dafür und bricht allemal eine verdienstvolle Lanze für diesen auf den Spielplänen noch immer stark unterrepräsentierten Verdi-Krimi.

Kritik von Oliver Bernhardt

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