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Barbara Senator, Mirko Roschkowski, Sungho Kim, © Thomas Jauk
Zur Dortmunder Inszenierung der Oper „La juive“ von Fromental Halévy
Menschliche Tragödien
Im Rahmen seines Formates „Wagner-Kosmos 2023“ war am Freitag die letzte Vorstellung der Oper „La juive“ von Fromental Halévy zu erleben. Im Vorfeld der Neuinszenierung führten „künstlerische Differenzen“ zu einem Regiewechsel. Sybrand van der Werf sprang ein und übernahm.
Mit dem Märtyrertod der tragischen Protagonisten Rachel und Eléazar führen Fromental Halévy und sein Librettist Eugène Scribe in „La juive“ vor Augen, welch leidvolle, von Fremdenhass und antisemitischer Hetze getragene psychische und physische Gewalt, Menschen jüdischen Glaubens ertragen müssen, um zu dem Schluss zu kommen, lieber den Märtyrertod zu sterben als zu konvertieren.
Rachel, „la juive“ ist eine verliebte, kritisch-misstrauische, junge Frau, die bei einem jüdischen Vater aufwächst. Ihre eigentliche christliche Herkunft wird sie nie erfahren. Da sind außerdem ein empfindsam scheinender, katholischer Kardinal Brogni, der gleich im ersten Akt an seine politische Vergangenheit und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnert wird und ein geschäftstüchtiger, von Hass- und Vatergefühlen geprägter, jüdischer Goldschmied Eléazar, der diese Verbrechen schmerzlich erfuhr und nicht vergessen kann. Und last but not least ein junger, erfolgreicher Reichsfürst Leopold, der zwar mit der Nichte des Kaisers, Prinzessin Eudoxie verlobt ist, sich aber als Künstler jüdischen Glaubens ausgibt, weil er sich unsterblich in Rachel verliebt hat. Und eine, ihren treulosen Verlobten liebende und für seine Freilassung kämpfende Prinzessin Eudoxie.
Die Bühne ist zu Beginn wie leergefegt. Orgelklang erfüllt den Raum. Hinter leicht wehenden, indirekt beleuchteten, weißen Vorhängen erklingt aus der linken Seitenbühne Kirchengesang, während auf der rechten Seite, hinter einer vergitterten Ladenzeile, leise Amboßschläge zu hören sind. Umso effektvoller stürmen die Massen sodann auf die Bühne. Im Fortissimo gibt man sich dem Taumel und Überschwang auf das bevorstehende Fest hin und hetzt gegen den sich nicht an das Arbeitsverbot haltenden Goldschmied.
Auch in den folgenden Akten belassen es Van der Werf und Martina Segna bei wenigen Requisiten, um die Opernhandlung zu erzählen. Es fehlt eine historische Einordnung, sodass - auch dank eines vorzüglichen Solistenensembles - die Menschen, die Konflikte und Begegnungen, die Widersprüche und Doppelbödigkeiten, die Konfrontation und fortschreitende Tragödie nahe rücken.
Solistenensemble, der Opernchor des Theaters Dortmund sowie die Dortmunder Philharmoniker zeichnen unter der Leitung Philipp Armbrusters eine spannungs- und abwechslungsreiche, transparent und differenziert in Tempo, Dynamik und Artikulation interpretierte Szenendramaturgie. Immer wieder begegnen sich die Kontrahenten, reden und tragen ihre Konflikte aus, entdecken aber auch Gemeinsamkeiten.
Rachel will Brogni nach der von Karl-Heinz Lehner anrührend gesungenen Cavatine „Si la rigueur et la vengeance“ die Hand zur Versöhnung reichen, doch Eléazar hält sie zurück. Ihm fällt die Geste wesentlich schwerer.
Barbara Senator gestaltet die Rolle der Rachel differenziert und ausdrucksstark. Ihr Liebster hatte eingestehen müssen, Christ zu sein und dann fluchtartig den Raum verlassen. Wunderbar, wie Senator in der Romanze „Il va venir“ die wieder erwachende Zuneigung gestaltet und einer zur Sicherheit werdenden Hoffnung auf Rückkehr Ausdruck verleiht. Die Vaterrolle, Goldschmied Eléazar, sang in dieser Aufführung Anton Rositskiy, Stimmlich brillant entstand ein empathisches, anrührendes Bild dieser widersprüchlichen Figur. Mal klagt er unbeugsam und heldenhaft seine Bürgerrechte ein, mal erscheint er geschäftstüchtig, mal ist er innerlich von Selbstzweifeln zerrissen wie in der berührend interpretierten Arie „Rachel, quand du Seigneur“. Enkeleda Kamani war Prinzessin Eudoxie, Sungho Kim spielte und sang den Fürsten Léopold.
Im Augenblick der Hinrichtung und mit einem grausamen „Dort ist sie“ beantwortet Eléazar am Ende der Oper die drängende Frage Brognis, wo seine Tochter sei. Sybrand van der Werf belässt es nicht dabei, sondern zeigt einen Eléazar, der den zusammen gebrochenen Brogni zu trösten versucht.
Kritik von Ursula Decker-Bönniger
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