Dirigent Cornelius Meister, © Ostu Ensport
Simpsons Israfel und Bruckners 5. Symphonie mit Cornelius Meister
Die schönste Stimme aller Geschöpfe Gottes
Jetzt, wo seine Tage als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin gezählt sind, muss man sich schon etwas sputen, um Robin Ticciati noch einmal live in der Hauptstadt hören zu können. Insofern bin ich über meinen eigenen Schatten gesprungen, um diesen charmismatischen Ausnahmekünstler mit Bruckners 5. Symphonie in der Philharmonie zu erleben. Über den eigenen Schatten deshalb, weil ich persönlich die 5. und 6. von Bruckner immer als relativ uninspiriert empfunden habe, quasi als mechanische Fingerübung, bevor dann der Triumph der Spätwerke mit 7., 8. und 9. die eigentlichen symphonischen Maßstäbe setzt. (Eingefleischte Brucknerianer werden das sicher anders sehen.) Aber, wer wenn nicht Robin Ticciati, könnte mein Vorurteil gegenüber dieser B-Dur-Symphonie revidieren?
Dummerweise musste Ticciti seine Teilnahme am Konzert krankheitsbedingt absagen. Und so sprang kurzfristig Cornelius Meister ein. Den hatte ich mit dem DSO schon mit Mahlers 3. erlebt und seine Art zu dirigieren sehr geschätzt: präzise, Details herausarbeitend, souverän die Schönheit der Musik kommunizierend. Das war also eine interessante Option, um jetzt Bruckner neu zu hören.
Vorab hatte die Dramaturgie des DSO 'mal wieder die etwas nervtötende Idee, ein zeitgenössisches kurzes Werk an den Anfang zu stellen, aus dem heraus dann das Hauptwerk des Konzerts „hervortritt“ (so das Programmheft). In diesem Fall war es die 12-minütige Tondichtung „Israfel“ des britischen Komponisten Mark Simpson (geb. 1988). Er wird im Programmheft als „Rising Star unter den jüngeren Kreativ-Virtuosen“ geschrieben, wobei ich mich fragte, was genau ein Kreativ-Virtuose sein könnte… Simpson gehöre zur „Top-Etage des internationalen Musikbetriebs“, erfährt man. Sein Werk, nach dem gleichnamigen Gedicht von Edgar Allan Poe (1809-1849) über den Engel Israfel – der die schönste Stimme aller Geschöpfe Gottes hat – male die Stationen des Gedichts aus „wie eine Verfilmung in Klängen“, so das Programmheft.
Verglichen mit dem, was Hollywood im Bereich Horror und Fantasy an Klangoptionen schon seit langem präsentiert hat, war die Musik von Simpson für meine Ohren leider nur mäßig inspiriert, Anflüge von Melodie kommen nicht einmal entfernt an das heran, was Komponisten wie John Williams mit größerer Prägnanz zu Weltruhm verholfen hat. Und die deutlich am Horror-Genre orientierten Passagen (wo Streicher fast „kratzend“ in höchsten Lagen für Gruselstimmung sorgen) halten einen Vergleich mit Klassikern wie „Psycho“ und „Der weiße Hai“ nicht wirklich aus. Aber: Cornelius Meister warf sich mit Leidenschaft in diese äußert professionell gearbeitete Partitur und dirigierte sie absolut souverän. Am Ende gab es verhaltenen Applaus, auch als der Komponist selbst in gold-schwarzer Bluse auf die Bühne kam und sich dem wohlwollenden Publikum stellte.
Im Gegensatz zu anderen DSO-Konzerten der Vergangenheit ging es dann nicht nahtlos weiter mit Bruckner, sondern es gab eine kurze Umbaupause. Danach kehrte Meister zurück auf's Podium und begann – diesmal ohne Partitur – die Brucknerschen Klangekstasen heraufzubeschwören. Sehr konzentriert, mit grandiosem Blech und üppigem Streicherklang, immer darauf bedacht, die Eruptionen lautstärketechnisch zurückzuhalten, damit es nicht zu früh zu bombastisch wird.
Für mich persönlich war der Streicherteil im langsamen zweiten Satz („Adagio“) der Höhepunkt dieser Interpretation, weil hier das DSO einen Sound von Weltformat lieferte, der tief ans Herz griff. Sonst ist Meister allerdings nicht jemand, der wie Ticcitati die Musik erblühen lässt, sondern sie eher maximal kontrolliert, sie immer irgendwie zurückzuhalten scheint. Er steigert sich in den entsprechenden Passagen nicht in eine Art von Transzendenz, wo man als Hörer fast abhebt vor Erregung. Natürlich ist das ein möglicher Interpretationsansatz. Aber die Gänsehautmomente hielten sich bei mir als Folge in Grenzen bzw. immer, wenn sie sich andeuteten, waren sie gleich wieder vorbei, bevor wirklich etwas passierte.
Am Ende großer Jubel für einen Bruckner, der unter Cornelius Meister nicht bis zum Äußersten ging. Und der mein Vorurteil gegen die 5. nicht ausräumen konnte. Mal sehen, was Ticciati vor seinem Abgang aus Berlin noch an Bruckner-Optionen anbieten wird. Und: Was Cornelius Meister mit dem DSO als nächstes zaubern wird. Es wäre auf alle Fälle wünschenswert, ihn öfter in Berlin zu hören. Aber vielleicht nicht gerade mit Bruckner.
Kritik von Dr. Kevin Clarke
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