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Szenenfoto Nabucco, © Wilfried Hösl
Nabucco an der Bayerischen Staatsoper
Die Gedanken sind frei
Der Gedanke, den Giuseppe Verdi im „Va, pensiero“ aus seinem Nabucco fliegen ließ, ist musikalisch um die Welt gegangen, national identitätsstiftend wurde er in Italien erst einige Zeit nach der äußerst erfolgreichen Uraufführung 1842. Aus dem Jahr 2008 datiert die Premiere von Yannis Kokkos´ Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper, sein Regiekonzept setzt auf puristisch-minimalistische Bilder, schafft es dabei aber trotzdem, den biblisch-politischen Stoff vom babylonischen Exil des jüdischen Volkes anschaulich zu erzählen und in Szene zu setzen.
Fokussierte Präsenz
Die Schau- und Baukasten-Optik versteht es, mit den Handlungsebenen und Seelenzuständen der Figuren umzugehen, Kokkos arbeitet viel mit Farben, Licht und tunnelartig nach hinten zulaufender Räumlichkeit – dieses Konzept geht atmosphärisch und substantiell auf. Da stört auch die kurzzeitig etwas wackelige Wandverhängung im Hintergrund des Bühnenbilds nicht weiter. Unglücklich wirkt lediglich die unnötige gelegentliche Verkleinerung des seitlichen Bühnenhorizonts. Ansonsten entwickelt Kokkos eine aussagekräftige Symbolik, angefangen vom wirkmächtig vereinnahmenden ersten Auftritt Nabuccos, über die regelrecht blendend visualisierte Strahlkraft göttlicher Aura bis hin zu konkret beklemmender Bebilderung der Gefangenschaft hinter Stacheldraht – das besagte „Va, pensiero“ erhält hier kontemplativ vielsagendes Gewicht. Trotz karger Ausstattung haben die Charaktere physische und psychologische Präsenz, exemplarisch ist Abigailles weit ausholender Monolog ganz auf sie selbst fokussiert.
Baritonales Ereignis
Noch weitaus stärker als die Regieleistung weiß die musikalische Ebene an diesem Abend zu überzeugen. Amartuvshin Enkhbat in der Titelrolle ist mit immensem, charismatisch schwarz gefärbtem Volumen ein echtes baritonales Ereignis. Er hat es nicht einmal nötig, sein ganzes stimmliches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um ehrfurchtgebietende Autorität auszustrahlen. Die rasende Kraft geistig umnachteter Rage kann bei ihm in der Bitte um Verschonung seiner Tochter von einem Moment auf den anderen auch ganz menschlich warme und weiche Züge annehmen. Wenn er im geläuterten Lobpreis Gottes singt „Ei solo è grande, è forte Ei sol!“, ist das an inhaltlich-stimmlicher Kongruenz kaum zu überbieten. Herausragend auch Roberto Tagliavini mit kernig beweglichem Bass und bewundernswert langem Atem als Zaccaria, der sich mühelos auch gegen Chor und Orchester behaupten kann. Das gilt auch für die anstelle der ursprünglich vorgesehenen Ekaterina Semenchuk in der Rolle der Abigaille umbesetzte Liudmyla Monastyrska, die ihrem bis in die Spitzentöne kraftvollen Furor auch leise flehende Töne in ihrer eindringlichen Bitte um Vergebung entgegensetzen kann. Überzeugend auch Rihab Chaleb als Fenena, einen soliden Ismaele gibt Robert Watson.
Direkter Draht zur Bühne
In Gala-Form präsentiert sich auch das Bayerische Staatsorchester unter Leitung von Daniele Rustioni. Schon die blechfeste Ouvertüre erzeugt zupackende Spannung, die über die gesamte Distanz nicht nachlässt. Rustioni findet die richtige Ansprache zwischen schlanker Leichtigkeit frei von klischeehaften Manierismen, kammermusikalischer Intensität rund um das glänzend vorgetragene Cello-Solo und ungeniert pompöser Tutti-Vehemenz. Sein Dirigat hat den direkten Draht zur Bühne, Tempo- und Rhythmuswechsel aus dem Stand sind für ihn kein Problem. Er versteht es, an den richtigen Stellen vom Gas zu gehen oder zu beschleunigen – ihm gelingt gar das Kunststück, einem vermeintlichen Gassenhauer wie dem „Gefangenenchor“ dramaturgisch zugespitzte Intensität zu verleihen. Der ebenfalls bestens aufgelegte Chor kann seine Durchschlagskraft schon gleich zu Beginn unter Beweis stellen. Ein derart stimmiges Gesamtpaket hat Seltenheitswert
Kritik von Oliver Bernhardt
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"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
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