> > > > > 05.05.2023
Samstag, 3. Juni 2023

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Antonello Manacorda, Copyright: Astrid Ackermann

Antonello Manacorda, © Astrid Ackermann

Das BRSO mit Antonello Manacorda und Kirill Gerstein

Gelungener Einstand und Abschied

In München hatte Antonello Manacorda zwar in der Vergangenheit schon aufhorchen lassen – bisher aber vor allem mit Mozart-Dirigaten an der Bayerischen Staatsoper. Seinen Einstand gab er diese Woche am Pult des BRSO, schon ausgiebig mit diesem zusammengearbeitet hat dagegen Kirill Gerstein als Artist in Residence der laufenden Spielzeit. Zwei Monate nach der Aufführung von Brahms´ zweitem Klavierkonzert stellt Gerstein sich diesmal im Herkulessaal der Münchner Residenz einer buchstäblichen, selbst gewählten Herkulesaufgabe: Als ob nicht jedes Ravel-Konzert für sich genommen schon anspruchsvoll genug wäre, setzt er gleich beide auf's Programm, um in den beiden charakterlich so unterschiedlichen Werken – wie er selbst sagt – das gesamte Spektrum von Ravels Musik vorzuführen. Das G-Dur-Konzert hat man beim BRSO beispielsweise schon 2019 mit Jean-Yves Thibaudet und unter Leitung von Daniel Harding geistreich und funkensprühend gehört, Gerstein und Manacorda stehen dieser Interpretation in nichts nach.

Jazziger Groove

Von Beginn an ist die stilistisch breit gefächerte Palette aus folkloristischem Kolorit, impressionistischer Haltung und jazzigem Groove in den mit strahlender Leuchtkraft aufgehellten Holzbläsern und Klavier-Glissandi klangfarblich bestens abgemischt. Gerstein lässt eine spritzig-erfrischende Brise durch den Kopfsatz wehen, die rasend schnellen Repetitionen und sonstigen technischen Schwierigkeiten meistert er mühelos. Die solistisch ausgedehnte Melodik des Mittelsatzes behandelt er – auch im Dialog mit dem Englischhorn – feinfühlig. Im Schlusssatz steht ihm die nötige Anschlagsflexibilität aus perkussiver Härte und delikatem Pianissimo zur souveränen Verfügung, der rhythmische Drive des „Presto“ kann sich ungehindert entfalten. Ohne Probleme schaltet Gerstein nach der Pause um auf das vergleichsweise abgedunkelte Timbre des D-Dur-Konzerts für die linke Hand. Der sich aus sonoren Bläser-Tiefen erhebenden orchestralen Wucht setzt er massive einhändige Akkordfülle und funkelnde Virtuosität im vertrackt schwierigen Passagenwerk entgegen. Perfekt setzt er die musikalischen Kontraste zwischen martialischen Rhythmen und empfindsamer Melodik in Szene. Das beste Kompliment, das man Gerstein hier machen kann: Wüsste man es nicht besser, man würde in den gestochen scharfen, nie in inflationärem Pedalgebrauch ertränkten Klangschichtungen gar nicht merken, dass hier nur eine Hand am Werk ist. Eindrucksvoll stellt er dieses Konzert in seiner ganzen melancholischen Klangschönheit darzustellen. Manacorda lässt das BRSO dazu mit einer gewichtigen eigenen Stimme sprechen und lotet das dynamische Potential voll aus. Für den Jubel des Publikums bedankt Gerstein sich mit der Transkription eines Rachmaninow-Lieds als anrührend gesungene Zugabe.

Strukturierter Spannungsaufbau

Eingerahmt werden beide Konzerte – auch das programmatisch ungewöhnlich genug – von zwei Schubert-Symphonien. An die „Unvollendete“ und die „große“ C-Dur-Symphonie denkt man bei dessen symphonischem Oeuvre zumeist, das BRSO und Manacorda begehen mit den Symphonien Nr. 3 D-Dur D 200 und Nr. 6 C-Dur D 589 seltener eingeschlagene Pfade ein. Manacorda bringt dabei reichlich Schubert-Erfahrung mit, die er nicht zuletzt aufgrund seiner zyklischen Einspielung mit der Kammerakademie Potsdam gesammelt hat. Dass Schubert aber auch mit größerer Besetzung bestens funktioniert, kann man hier erleben. Selbst Originalklang-Puristen dürften anerkennen, dass Manacordas (durchaus historisch informierte) Klangauffassung voll überzeugt. Gleich in den Introduktionen beider Kopfsätze findet ein klar strukturierter Spannungsaufbau statt. Auch im weiteren Verlauf herrschen stimmlich exakt definierte Proportionen. Geschmackvoll trifft Manacorda die metrische Wendigkeit des „Allegretto“ ebenso wie den ländlerischen ¾-Charme des Trios im dritten Satz. Das Finale nimmt unmittelbar transparente, auf weich gepolsterte Streicher gebettete Geschwindigkeit im übermütig gestikulierenden Tarantella-Stil auf. Auch in der „Sechsten“ formt Manacorda prägnant zugespitzte Phrasen. Unverändert musizieren er und das BRSO am Anschlag, hörbar steht ihm hier einfach ein Klangkörper mit deutlich erweiterten Möglichkeiten im Vergleich zu Potsdam zur Verfügung. Auf dieselbe Weise beeindruckt das elastisch gefederte „Andante“, in dem Manacorda zeigt, dass es auch in der ausgehenden Wiener Klassik keineswegs schadet, aufs groß besetzte dynamische Ganze zu gehen. Das griffige Scherzo mit markant schleifendem Trio vermittelt ebenfalls eine klare individuelle Handschrift. Lediglich im Schlusssatz nimmt er das „Allegro moderato“ eingangs etwas zu wörtlich. Das hier zurückgenommene Tempo weicht erst allmählich dem finalen Esprit.

Für Manacorda definitiv ein geglückter Einstand – für Gerstein ein Auftritt, der den Abschied von ihm als Artist in Residence schwer macht.

Kritik von Oliver Bernhardt

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