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Szenenfoto, © Jean-Marc Tumes
Offenbachs Großherzogin von Gerolstein am Gärtnerplatztheater
Queere Persiflage
Ihre eigentliche Premiere hatte Josef E. Köpplingers Inszenierung von Offenbachs Opéra bouffe „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ bereits 2020 an der Semperoper, pandemiebedingt hat sie es damals allerdings auf nicht mehr als drei Vorstellungen gebracht. Am Münchner Gärtnerplatztheater feierte die Koproduktion erst Anfang dieses Jahres ihren Einstand, und in einem Punkt unterscheidet sie sich von vornherein von der Dresdner Aufführung: In München hat Köpplinger die Titelrolle mit einem Mann besetzt. Das hat vor ihm – um gleich im Jargon der Handlung zu sprechen – schon Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin vorexerziert. Um Abrechnung mit Militarismus und Obrigkeitsdenken geht es in dem Stück, das Offenbach in Paris zur Zeit Napoleons III. schrieb.
Klimawandel im Zwergstaat
Das Libretto stammt vom kongenialen Duo Henri Meilhac und Ludovic Halévy, für Köpplingers Fassung hat Thomas Pigor, bekannt als Sänger der Kabarett-Formation Pigor & Eichhorn, Zusatztexte beigesteuert. Da wird dann schon auch einmal augenzwinkernd der Klimawandel thematisiert. Im fiktiven Zwergstaat Gerolstein spielt das Stück, mit der gleichnamigen deutschen Stadt in Rheinland-Pfalz hat der Inhalt rein gar nichts zu tun. Mittels Video-Projektionen, umgeben von einem Lichter-Rahmen im Revuetheater-Stil, wird das Miniatur-Reich dem Publikum zu Beginn erst einmal vorgestellt – und gleich volle Breitseite durch den Kakao gezogen. Um den satirisch skurrilen Präsentationseffekt zu verstärken, wird nebenbei immer wieder eine artig fotografierende Touristengruppe durchgeschleust. Köpplinger hat das Werk auf ganzer Linie travestiert, nicht nur auf der oben genannten Besetzungsebene. Die Soldaten sind eine durch und durch schwule Truppe, wer hier nicht pariert, wird mit der „entmannenden“ Höchststrafe belegt, im rosa Tutu defilieren zu müssen. Prinz Paul präsentiert sich im rosa Anzug, mit dezentem Rouge und Lippenstift. Der gute alte Degen des Großvaters der Großherzogin wird unverhohlen als Phallussymbol zur Schau gestellt. Die Kostüme von Alfred Mayerhofer und die Bühne von Johannes Leiacker haben knallbunten Pep, das Ganze wird gekonnt durchmischt mit temporeicher, witziger Choreografie. Immer wieder wird auch Kontakt zum Publikum aufgebaut, besagte Touristen tauchen im Zuschauerraum auf, die Soldaten besetzen die Proszenium-Loge. Von dort wird die die hasenfüßige Truppe aber vom (wenn auch nur vorübergehend beförderten) Vorgesetzten mit symbolischer Strenge ins Bett geschickt.
Satirische Botschaft
Dass Köpplinger das Stück nicht mit der aktuellen (zum Zeitpunkt der Premiere ohnehin noch nicht bestehenden) politischen Weltlage verklammert, ist der Inszenierung sicherlich zuträglich. Es wäre als künstlich problembeladenes, polit-lastiges Machwerk auch schwer vorstellbar und funktioniert eindeutig besser in dem abstrakt persiflierenden Raum, in dem es von Haus aus spielt. Die von Offenbach intendierte satirische Botschaft kommt auch so hinreichend an – nicht zuletzt übermittelt durch die von Köpplinger sehr gut geführten Figuren, die sich mit liebenswerter Selbstironie gerne auch selbst mal auf den Arm nehmen, beispielsweise, wenn sie zum sechsten Mal ihren sechsundreißigsten Geburtstag feiern. Gesanglich ragen gleich mehrere Darsteller heraus: Alexander Grassauer gibt einen General Bumm mit echtem stimmlichem Wumms und auch schauspielerisch draufgängerischer Durchschlagskraft. Ein ideal besetztes Paar sind Julia Sturzlbaum mit hellem, voluminösem Sopran als Wanda und Matteo Ivan Rašić als agiler, tenoral geschmeidiger Fritz. Nicht ganz zu überzeugen weiß Juan Carlos Falcón in der Titelrolle. Seine Stimme wäre wohl eher im Musical-Fach zu Hause, sie klingt zudem etwas gaumig und verschattet. Auch in der Charakterisierung der Figur fehlen ihm die Exaltiertheit und das zuweilen impulsiv aufbrausende Temperament der Großherzogin in letzter Konsequenz. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter Leitung von Oleg Plashnikov trägt die schmissige Gangart und die parodistischen Spitzen der Inszenierung gut ausbalanciert mit. Auch vor der Musik macht die Satire nicht halt, ob mit Anklängen an Tschaikowskys „Schwanensee“ oder gleich an Offenbach selbst mit der Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“. Eine rundum gelungene, karnevalesk-rasante, queere Produktion.
Kritik von Oliver Bernhardt
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