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Auf der Suche nach der besten Welt, © Markus Lieberenz
Aufgebrezelt: Barockmusik von Buxtehude, Schein, Cimarosa & Vivaldi
Aequinox: Auf der Suche nach der besten Welt
War das eine Freude, wieder live dabei zu sein: Bei den 13. Aequinox-Musiktagen zur Tag- und Nachtgleiche vom 17. bis 19. März in und um die brandenburgische Kreisstadt Neuruppin, rund 80 km nordwestlich von Berlin. Seit 2010 setzt das kleine Alte-Musik-Festival (2023: Sieben Veranstaltungen an einem Wochenende mit rund 1500 Gästen, 70.000 Euro Gesamtetat) auf die „Lautten Compagney Berlin“ als bewährten Kooperationspartner. Damit trafen die Veranstalter auch dieses Mal wieder die richtige Entscheidung, denn die famose Vielseitigkeit dieses 1984 gegründeten Barockensembles mit seinem Leiter Wolfgang Katschner ist geradezu sprichwörtlich: Vom großartigen Buxtehude-Kantatenzyklus im Eröffnungskonzert über eine rasante Cimarosa-Opern-Satire bis hin zum barocken Kammerkonzert der Extraklasse mit literarischer Anbindung kann dieses Ensemble sich unglaublich wandeln und häuten und immer wieder aufs neue seine Hörer in den Bann ziehen.
Die Siechenhauskapelle, das namengebende architektonische mittelalterliche Kleinod des Festivalveranstalters, stand in diesem Jahr leider nicht als Veranstaltungsort zur Verfügung. Trotzdem wurde das Publikum wieder an zahlreiche markante historische Plätze der landschaftlich so reizvoll am See gelegenen Gegend geführt. So fand das Eröffnungskonzert abermals in der Klosterkirche St. Trinitatis direkt am Seeufer statt. Ein zwar kalter, aber würdiger Ort für Dietrich Buxtehudes außerordentlichen Kantatenzyklus „Membra Jesu Nostri“, den die Lautten Compagney und die Capella Angelica zauberhaft hinlegten. Die Musik ist glücklicherweise im Autograph - datiert 1680 - überliefert. Anhand einer mittelalterlichen mystischen Textvorlage entwickelte der Lübecker Organist und Komponist - auf der Höhe seiner Kunst - diese siebenteilige Passionsmeditation, die sich jeweils „an ein Körperteil des am Kreuz hängenden Christus wendet“. So entstanden sieben Kantaten, die sich an Füße, Knie, Hände usw. des Heilands wenden. Eingerahmt wurde der Zyklus von den beiden geistlichen Konzerten „Jesu, meines Lebens Leben“. (BuxWV 62) und „Herr, wenn ich nur dich hab“ (BuxWV 38). Sowohl der opulente, differenzierte instrumentale Klang, als auch die erlesene, potente Sängerschar der Choristen, die auch solistisch glänzten, zeitigten an diesem Abend exzellente Leistungen, die in ihrer Rundheit und Stabilität ihresgleichen lange suchen müssen. Immerhin beschäftigt sich ein Großteil der Akteure schon seit über 20 Jahren mit diesem Werk: Eine empfehlenswerte CD der „Membra“ mit der Lautten Compagney (produziert 2004) liegt beim Label Raumklang vor.
Doch damit war es am Eröffnungstag noch nicht zu Ende: Hinüber spazierte die Festivalgemeinde zur gerade außerhalb des Altstadtrings gelegenen, frisch renovierten katholischen Kirche, die zum ersten Mal als Veranstaltungsort mit in den Festivalkalender - quasi als Ersatz für die intime Siechenhauskapelle - einbezogen wurde. Akustisch ist sie es auf jeden Fall wert. Hier musizierte intim und zu später Stunde das deutsche Gesangsduo „Rosenroth“ mit Inga Philipp und Anna Moritz, die vom Gitarristen Martin Steuber mehr als professionell unterfüttert wurden. Der Leipziger ist eigentlich Mitte und Motor des Trios und kann auch selber famos singen. Unter dem Motto „Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht“ kreierten die drei ihre ganz individuelle Gefühls-Show, die vor allem in ihrer Kurzweil punktete, denn zu jedem der vorgetragenen Lieder hatte irgendjemand eine raffinierte Spezialität zur Hand - vom Xylophon bis zu Mälzels Metronom. So hörte das Publikum mal entspannt, mal staunend deutsche Volkslieder wie Schuberts „Der Lindenbaum“, „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ oder das mittelalterliche „Kum Geselle min“ in neuen Versionen: klangschön, meditativ, harmonisch frisiert und inspirierend. Wundersam, was die drei da auf die Beine stellten.
Ein Highlight der diesjährigen Musiktage war die Aufführung von J.H. Scheins „Geistlichen Madrigalen aus dem Israelsbrünnlein“ mit dem Vokalensemble Opella Musica (Leipzig) am Samstagnachmittag in der ausverkauften Kirche zu Alt-Ruppin. Seit über 10 Jahren widmen sich Isabell Schicketanz, Susanne Langner, David Erler, Tobias Hunger, Friedemann Klos und Tillmann Steinhövel (Violone) unter der Leitung von Gregor Meyer (Orgel) erfolgreich und mit höchstem Anspruch der sakralen Musik. Viele Aufnahmen sind dabei entstanden, so die Kuhnau-Gesamteinspielung. Das Ensemble steht sängerisch wie ein Fels in der Brandung. Seine musikalische Expertise - insbesondere in puncto Transparenz und Farbigkeit - ist unangefochten. Der Aufführungsstil bezeugt die pure Lust der Akteure am barocken Fabulieren, wobei stehts die in der Musik innewohnende Klangrede - von der Nikolaus Harnoncourt in seinen Büchern kündet - berücksichtigt wird. Auch die Texte der Madrigale, die stets verständlich zu verstehen waren, beeindruckten durch ihre Lebensreife. Ein Passionskonzert erster Güte!
Weniger erbaulich war der große „New Vivaldi - Vivaldis Hits in neuem Sound“ genannte Abend, der in der zentralen Kulturkirche Neuruppin am Samstagabend das meiste Publikum angezogen hatte. Allerdings konnten die Künstler der Lautten Compagney hier die immensen, in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Wie soll man Vivaldi verbessern? Das ist nahezu unmöglich und fand hier eine nicht gelungene Premiere. Blockflötist Martin Ripper, Cellist Bo Wiget (der sich auch mangelhaft in der Ausführung präsentierte durch allzu grobe Schmierereien und Unsauberkeiten) und Wolfgang Katschner hatten sich als Arrangeure etlicher wichtiger Werke des „Prete Rosso“ aufgemacht und versucht, dessen Musik mit Perkussion und schrägen, teils unwuchtigen Rhythmen (in die Sprache der Gegenwart) zu übersetzen, so dass auch mal argentinischer Tango, Klezmer, Beat und Irrlichter um die Ecke lugten. Aber will der angestammte Vivaldi-Genießer auch „Spiel mir das Lied vom Tod“ ganz nebenbei serviert bekommen oder hat er nicht doch eine ziemlich vorgefasste Idee, was er hören möchte, wenn Vivaldi auf dem Programm steht? Der Abend hinterließ gemischte Reaktionen und setzte eine rege Diskussion unter den Zuhörern schon in der Pause in Gang, wobei sich verlorene Strukturen im zweiten Teil wiederfanden und die Absichten besser zum Tragen kamen. Insgesamt war das gebotene Programm aber viel zu lang: zu viel Masse, zu wenig Klasse. Immerhin ein mutiger Versuch, Vivaldis Musik zu transformieren.
Viel besser lag der Lautten Compagney jene Oper, die - trotz kleiner klanglicher Unebenheiten - in aller Frische am Sonntagvormittag im Kulturhaus Stadtgarten über die Bretter ging. In einer Neuinszenierung von Nils Niemann gab es „Die Theatralischen Abentheuer oder Der Theaterdirektor in Nöthen“, eine Opern-Satire von Domenico Cimarosa, die Goethe von seiner Italienreise mit nach Weimar gebracht hatte und dort aufführen ließ, freilich in einer übersetzten Variante auf Deutsch. Die Premiere hatte am 14. Mai 2022 im Liebhabertheater Schloss Kochberg (in Koproduktion mit der Lautten Compagney) stattgefunden. Sechs Sänger sowie (nur!) neun Musiker stemmten das Werk hier erneut in zweieinhalb Stunden und bekamen dafür viel Zuspruch. Sowohl Alessia Schumacher (Doppelrolle Fiordispina & Doralba) als auch Johanna Kaldewei (beide Sopran) sangen sauber, sicher, teils brillant und glänzten mit humoristischem Schauspieltalent. Ihnen standen Simon Robinson (Operndirektor Lorenzo), Cornelius Uhle (Dichter Orlando) und Christian Pohlers (Kapellmeister Polidoro) keinesfalls nach. Sie sorgten alle für den nötigen Dampf im Kessel, der dieses bunte Bühnen-Lotter-Leben des späten 18. Jahrhunderts recht wahrheitsgetreu spiegelt, mit all seinen Intrigen, Überraschungen und der permanenten Geldnot sowie dem allseits präsenten stolzen Gehabe. Insofern hatte Goethe den Unterhaltungswert dieser Posse treffsicher erkannt. Der Charme der Oper ist bis heute ungebrochen und bereitete köstliches Vergnügen.
Zu guter Letzt gab es zum Abschluss des Aequinox-Festivals 2023 noch ein wirklich intimes Kammerkonzert mit Musik von Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann, Jean-Féry Rebel (ein zu Unrecht fast vergessener Pariser Komponist, ausgebildet bei Luly!) und Jean-Philippe Rameau zu dem Motto „Auf der Suche nach der besten Welt- Zeitreise in die Welt des Barock und der Aufklärung“. Anchorfrau Eva Mattes, ihres Zeichens Fernsehschauspielerin, gab sich die Ehre und las wohlgewählte Texte, darunter Telemanns Briefwechsel mit Händel über seine Liebe zu Blumen, Rousseaus Ergüsse über die Natur oder Ch.C. L. Hirschfelds Betrachtungen über „Das Landleben“ (1775). Da wurde es ganz still in der kleinen aber feinen Schinkelkirche zu Wuthenow. Im Kontrast dazu berauschte ein Feuerwerk an herrlichen Cluster-Klängen wie zum Beispiel zu Beginn von Rebels „Chaos“, einer Simphonie Nouvelle, die 1737 komponiert wurde; wenig später stürmten die Streicher unter Konzertmeisterin Birgit Schnurpfeil wild drauflos. Herrlich auch die Arien Händels und Telemanns, die die Sopranistin Johanna Kaldewei mit Herzblut beisteuerte. 90 Minuten Kunstgenuss vergingen da wirklich wie im Fluge und die Sehnsucht nach dem ‚besseren Ort‘ blieb im Herzen lebendig. Da hilft es nur, sich wieder nach Neuruppin zu begeben, wenn vom 15. Bis 17. März 2024 die nächste Ausgabe des Festivals ruft.
Kritik von Manuel Stangorra
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