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LA JUIVE: Hailey Clark, © Sandra Then
Zur Inszenierung der Oper 'La juive' von Lydia Steier an der Staatsoper Hannover
Das Tor zur Hölle ist aus Marzipan
Eine schillernd kostümierte Prinzessin Eudoxie setzt sich mit lebendigem Schoßhündchen in Szene. - Gäste, in barockem Pomp ausstaffiert, werden im Laufe eines überbordenden, fürstlichen Diners übergriffig. - Ein machtverliebter Kardinal Brogni wirft Küsschen in die Menge und geißelt sich später. Es sind solch verstörende, karikierend bunte, überzeichnete Bilder konterkariert von ernsthaften, feinsinnigen Personencharakterisierungen, die momentan wieder in Hannover zu sehen sind. Gezeigt wird „La juive“ von Fromental Halévy - eine vor knapp vier Jahren entstandene Inszenierung von Lydia Steier, mit der die Staatsoper zu Beginn der Spielzeit 2019 auf sich aufmerksam machte.
Fromental Halévy und sein Librettist Eugène Scribe führen dem opern- und unterhaltungssüchtigen Pariser Publikum von 1835 ein kritisches, von soziokulturellen Konflikten gekennzeichnetes Zeitbild vor Augen: Da ist Rachel, eine lebenshungrige, verliebte, kritisch-vorsichtige junge Frau, die bei einem jüdischen Vater aufgewachsen ihre eigentliche christliche Herkunft nie erfahren wird. Da sind ein empfindsam scheinender, katholischer Kardinal Brogni, der an seine politische Vergangenheit und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnert wird und ein misstrauischer, von Hass- und Vatergefühlen geprägter, jüdischer Goldschmied Eléazar, der diese Verbrechen schmerzlich erfuhr und nicht vergessen kann.
Gleich zu Beginn der Opernhandlung werden die Konflikte zwischen Liberalen und Konservativen im Paris der 1830 Jahre offengelegt. Dabei verhandelt Lydia Steiers Inszenierung vor allem die Ängste, Befindlichkeiten und widersprüchlichen Haltungen der Protagonisten. Sie wählt eine Zeitreise in die Vergangenheit, um den Gegenwartsbezug der Oper herzustellen und ihre Aktualität zu beleuchten.
Wunderbar, wie sie dabei die Aufmerksamkeit des Publikums auf die hinter den historischen Ereignissen liegenden scheinbaren Alltagsgewohnheiten lenkt: Die fremden, gesellschaftlichen Außenseiter, die man in den USA der 1950er Jahre nur mit Handschuhen anfassen mag; die von Misstrauen und Angst geprägten Verhältnisse im Deutschland der 1929/30er Jahre, wo eine Bitte um Einlass, harmlose Klopfgeräusche an der Wohnungstür mit schlimmsten Vorahnungen verknüpft waren, die spanische Inquisition und das mittelalterliche Konstanz.
Fantastisch, wie dabei die Zeitebenen, Spaß, Unterhaltung und Ernsthaftigkeit nahtlos ineinanderfließen, wie an Altes erinnert wird, Vergangenheit und Gegenwart nebeneinander bestehen, Musiktheater aus Regie, Licht, Bühne und Video (Momme Hinrichs), Kostümen (Alfred Mayerhofer) als komplexe, sich ergänzende und zugleich widersprüchliches Kunstwerk erfahrbar werden.
„La juive“ ist eine Zeitoper im musikalisch anspruchsvollen Gewand der Grand Opéra. Unter der Leitung Stephan Zilias bieten Gesangssolisten, Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover sowie das niedersächsische Staatsorchester Hannover ein abwechslungsreiches Klanggeschehen aus Duetten, Balletten bzw. Umzügen und großen Chor- und Ensembleszenen. Hailey Clark verkörpert mit warmem, klangvollem Timbre Rachel. Charles Workman stellt einen lyrischen Eléazar dar, der in der besuchten Vorstellung vor allem im fünften Akt zu bewegenden, anrührenden Momenten fand. Sunnyboy Dladla verkörpert einen selbstverliebten Prinzen Leopold, dessen gesangliche Darbietung in besagter Vorstellung jedoch mit Tonhöhenproblemen zu kämpfen hatte. Mercedes Arcuri singt und spielt eine virtuos schillernde Prinzessin Eudoxie, die auch in den lyrisch anrührenden Momenten überzeugt. Shavleg Armasi verkörpert einen dramatisch schimmernden Kardinal Brogni.
Kritik von Ursula Decker-Bönniger
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