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Freitag, 24. März 2023

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Szenenfoto Cosi fan tutte, Copyright: Monika Rittershaus

Szenenfoto Cosi fan tutte, © Monika Rittershaus

Serebrennikovs Cosi fan tutte-Inszenierung an der Komischen Oper

Push-ups und Proteinshake: Mozart im Fitnessstudio

Kaum ist der letzte D-Dur-Akkord des ersten Finales verklungen, kreischt eine junge Frau hinter mir lustvoll auf. Vor Begeisterung, wie ich annehme. Zuvor hatten sich zwei Fitnessmodels mit Panzerschrankmuskeln (Amer El-Erwadi und Goran Jurenec) als Sempronio und Tizio – also als Doppelgänger von Guglielmo und Ferrando – in einer Designerküche auf Dorabella und Fiordiligi gestürzt. Und sie auf der Arbeitsfläche so richtig rangenommen - als sei das eine Szene aus dem Pornhub-Universum. Bevor sie – anschließend! – einen Kuss von den beiden Damen wollen, was zum musikalisch bewegten Ende des Aktes führt.

Kirill Serebrennikovs „Cosi fan tutte“-Inszenierung ist jetzt von Zürich nach Berlin weitergewandert und sorgt an der Komischen Oper für fast restlos ausverkaufte Vorstellungen. Und begeisterte Lustschreie von jungen Menschen im Publikum. Was erstaunlich ist. Denn: Wieso ist in der Hauptstadt plötzlich solch ein Andrang bei Mozart/Da Ponte? Hat Serebrennikov mit „Cosi“ einen Nerv getroffen, der gerade jüngere Opernfans anspricht und russisch sprechendes Publikum? Ist die Geschichte von der Untreue der vermeintlichen Frauen heute plötzlich derart aktuell, dass sich die Nachwuchsoperngänger damit besser identifizieren können als das Publikum der letzten 200 Jahre, die „Cosi“ gern als unmoralisch und skandalös abgelehnt hatten und nur wegen der göttlichen Mozart-Musik tolerierten?

Serebrennikov verlegt die Geschichte aus dem Neapel des 18. Jahrhunderts in ein modernes Sportstudio, wo Frauen und Herren getrennt trainieren. Zwischen den Power-Pump-Übungen treffen die jungen Männer Guglielmo (James Newby) und Ferrando (Tansel Akzeybek) mit Don Alfonso (Günter Papendell) zusammen, statt in einem Kaffeehaus, wie in Da Pontes Libretto ursprünglich vorgesehen. Kann man machen. Es ist eine Optik, die sehr heutig ist. Und die auf zwei Spielebenen – als Bühnenraum, der in ein oben und unten geteilt ist – stylisch und sehr schick aussieht, mit grauen Betonwänden und Designermöbelstücken, die irgendwann die Sportgeräte ersetzen (Bühnenbild und Kostüme sind ebenfalls von Serebrennikov).

Und so wird aus der Wette bezüglich der Treue ihrer Verlobten eine Sportstudiowette, zwischen zwei Proteinshakes ausgehandelt. Und dann durchgeführt, indem mehr oder weniger aus dem Nichts zwei Hunks auftauchen – also Sempronio und Tizio –, um die Verführungsaktion zu exekutieren. Da es sich um zwei stumme Darsteller handelt, die wahlweise mit nacktem Oberkörper, als „Araber“ verkleidet und dann wieder in schwarzen Unterhosen umherlaufen, ist die große Frage: Wie soll das mit der Interaktion mit den Sängerinnen funktionieren? Und wo bleiben derweil Ferrando/Guglielmo?

Sagen wir es einmal so: Serebrennikov macht sich gar nicht erst die Mühe, das Da-Ponte-Libretto logisch zu durchleuchten oder ernst zu nehmen. Es geht ihm scheinbar um irgendwie hübsch anzusehende assoziative Bilder, mit denen er Situationen zu illustrieren versucht. Eine plausible Erzählung der Geschichte bleibt spätestens dann aus, wenn Newby und Akzeybek ins Bild laufen und herumstehen, aber so tun, als könnte man sie nicht sehen: als könnten Penny Sofroniadou als Fiordiligi und Susan Zarrabi als Dorabella sie nicht sehen.

Wenn man akzeptiert, dass das völlig hirnverbrannt ist, kann man an dieser Deutung der Geschichte durchaus Spaß haben. Vor allem, weil alle Solisten ziemlich gut singen (dazu zählt besonders auch Alma Sadé als fabelhafte Despina). Befördert wird der Effekt auch dadurch, dass nicht nur El-Erwadi und Jurenec ihre Luxuskörper wiederholt entblättern, sondern auch Sofroniadou und Zarrabi über weite Strecken des Abends wie wandelnde Victorias-Secret-Models über die Bühne laufen, in sehr knapper schwarzer Unterwäsche, in der sie eine fabelhafte Figur machen. Sie könnten sofort als Fitness-Influencerinnen durchgehen, statt nur als vorzügliche Mozart-Interpretinnen. Das ist sicherlich ein Beispiel für Oper im Social-Media-Zeitalter, egal wie kritisch man darüber denken mag.

Am Pult steht Katharina Müllner, die mit dem Orchester der Komischen Oper einen frischen, angenehm herben Mozart-Sound kreiert, bei dem speziell die Holzbläser immer wieder für interessante Klangakzente sorgen. Allerdings gestaltet Müllner die 31 Musiknummern der Partitur nicht in Form von Abstufungen und dramaturgischer Gewichtung, sondern lässt so ziemlich alles gleich frisch dahinperlen. Das führt zu einer gewissen Einheitlichkeit des Klangbildes, wo berühmte Dirigenten der Vergangenheit gezeigt haben, dass es effektvoller ist, Mozart mehr Nuancen zu geben – vor allem aber mehr Innigkeit in entscheidenden Momenten (wie etwa bei „Un‘ aura amorosa“ oder „Per pieta, ben mio“, um nur zwei Beispiele zu nennen, ganz zu schweigen von „Soave sia il vento“). Wenn man Müllner zuschaut am Pult – was einfach ist, weil sie mit dem Orchester erhöht steht – wirkt sie nahezu regungslos, gefühlsmäßig gesprochen. Und lässt sich von nichts aus der Ruhe bringen. Vielleicht hört sie einmal in bedeutende historische Mozart-Interpretationen rein, um zu lernen, was lohnen würde zu übernehmen ins Hier und Heute. Es würde ihrer „Cosi“-Deutung gut tun, für die Zukunft.

Der Mangel an Innigkeit spiegelt sich übrigens auch im Gesang. Vermutlich ist es schwierig bei so viel Aktionismus auf der Bühne die vertrackten Mozart-Gesangslinien mit Konzentration auszugestalten und sich zu trauen, echt zur Ruhe zu kommen. Auch stimmlich.

Es ist zwischendurch immer mal wieder etwas aus den Rezitativen gestrichen (begleitet von Hélène Favre-Bulle am Hammerflügel), an anderen Stellen werden in der Übersetzung Details des Textes in den Untertiteln einfach weggelassen (zum Beispiel, dass Despina sich als Frau von 15 Jahren beschreibt). Und dafür, dass Serebrennikov im Programmheft erzählt, Mozarts Partitur sei ein genialer „musikalischer Mechanismus“, frage ich mich, wieso er in diesen genialen Mechanismus eingreift und im zweiten Finale plötzlich „Don Giovanni“-Klänge aus der Ouvertüre als Mash-up einfügt, in dem Moment als die Soldaten Ferrando und Guglielmo zurückkehren.

Wieso sie vorher schon tot geglaubt und als Asche in einer Urne umhergetragen wurden (Fiordiligi überschüttet sich sogar bei „Fra gli amplessi“ mit dieser Asche), bleibt ein Geheimnis des Regisseurs bzw. eine weitere etwas schräge Idee der Inszenierung. Wieso die beiden Frauen, nachdem sie sich den Muskelkerlen hingegeben haben im zweiten Akt, von Ferrando und Guglielmo als „Sluts“ bezeichnet werden (also als „Schlampen“), aber das primitive Triebverhalten der Muckimänner keinen entsprechenden Kommentar von irgendjemandem provoziert, als sei das eben bei „solchen“ Männern das normalste der Welt, kann man erstaunlich finden. Oder etwas unreflektiert. Jedenfalls sprayt Don Alfonso am Ende ein großes „Cosi fan tutte“ an die Betonwand, streicht das letzte „e“ dann aber aus und ersetzt es mit einem „i“. Soll heißen: „So machen es alle, Frauen und (!) Männer.“

Dem würden Mozart und Da Ponte vermutlich nicht widersprechen. Auch wenn es schade ist, dass in dieser Inszenierung die tieferen Erkenntnisse zum Thema Liebe und der Flüchtigkeit von emotionalen Bindungen – von Mozart so kongenial auskomponiert auf Da Pontes ebenso kongenialen Text – grundsätzlich ignoriert werden.

Die juchzende junge Frau hinter mir stellte sich später als jemand vom Haus heraus, die an einem Komische-Oper-Projekt mitgearbeitet hat und mit einer Schar von Freundinnen und Kolleginnen in der Vorstellung war. Wogegen absolut nichts einzuwenden ist. Sie sagte, dass noch viele andere Projektmitarbeiter an dem Abend im Zuschauerraum saßen und Stimmung machten. Was der Mozart-Aufführung teils ein DSDS-Feeling gab.

Jedenfalls ist diese „Cosi“ der Auftakt eines neues Da-Ponte-Zyklus an der Komischen Oper; die weiteren Teile werden auch von Serebrennikov inszeniert. Wieso die neue künstlerische Leitung des Hauses einen solchen angesetzt hat, wo drei Straßen weiter an der Staatsoper Unter den Linden gerade erst ein Da-Ponte-Zyklus von Vincent Huguet herausgekommen ist, sollte man einmal den scheidenden Kultursenator Klaus Lederer fragen. Von der konzeptionellen Schlüssigkeit der alten Harry-Kupfer-Inszenierung – die noch auf Deutsch gesungen wurde, während man jetzt Italienisch singt – ist die maximal auf Oberfläche bedachte Neuinszenierung von Kirill Serebrennikov an der Komischen Oper meilenweit entfernt. Aber das störte wohl niemanden. Und die Musik entfaltet definitiv ihren großen Zauber in der Behrenstraße – und das Sängerensemble ist imposant. Mit oder ohne Innigkeit. (Wer solche will, kann sich ja später zuhause die alte Schwarzkopf-Aufnahme anhören oder sich Kiri te Kanawa hingeben; ich habe es getan.)

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Kritik von Dr. Kevin Clarke

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