> > > > > 16.03.2023
Freitag, 31. März 2023

Szenenfoto, Copyright: Ruth Walz

Szenenfoto, © Ruth Walz

Andrea Breths Schauspiel mit Musik: Ich hab‘ die Nacht geträumet

Bankrotterklärung am Berliner Ensemble

Es passiert nicht allzu oft, dass ich im Theater sitze, den Stuck an den Decke anstarre und mir Gedanken über verschwendete Lebenszeit mache. Aber während der Premiere von Andrea Breths neuem „Schauspiel mit Musik“ am Berliner Ensemble passiert das ziemlich oft bei „Ich hab‘ die Nacht geträumet“.

Bei dem zweiteiligen Stück – wenn man es als solches bezeichnen möchte – geht es um eine Collage verschiedener Textfetzen und Lieder, die sich im weitesten Sinn mit Träumen beschäftigen, von Horst Bieneks „Traumbuch eines Gefangenen“ über Heiner Müllers „Traumtexte“ bis hin zu Ingeborg Bachmann, Meret Oppenheimer und vielen anderen. Diese kurzen Texte tragen Corinna Kirchhoff, Peter Luppa, Martin Rentzsch, Alexander Simon und Johanna Wokalek zusammen mit einem zehnköpfigen „Chor“ vor.

Berth erklärt im Programmheft, dass sie aus über 500 literarischen Texten, Musik- und Fundstücken aus dem Internet eine Auswahl getroffen habe, um kleine, jeweils für sich stehende Szenen zu kreieren – „teils poetisch, bedrohlich und voller skurriler, absurder Rätsel“. Es seien „Angst- und Erinnerungsträume nicht realistischer Art“. Das Ganze ergebe zusammengefügt eine eher „befremdliche Skizze“, statt ein „schweres Ölgemälde“.

Breth führt als Grund für diese Form der theatralen Arbeit ihre „momentane Verfassung“ an, die sie als „ratlos und sprachlos“ beschreibt. Warum sie in dieser Verfassung ist, erfährt man nicht – schon gar nicht auf der Bühne bzw. im Stück. Sie könne nur noch Fragmente erzählen, so Breth, zu einem stringenten Drama sei sie derzeit nicht in der Lage. Stattdessen gibt’s also mit „Ich hab‘ die Nacht geträumet“ eine Art von „leiser Zerfetzung“.

Die Musik ist dabei noch das Beste, zumindest für mich. Der wunderbare Adam Benzwi leitet hier nach der gefeierten „Dreigroschenoper“ mit Barrie Kosky seine zweite BE-Produktion und begleitet die fabelhaften Solisten so hingebungsvoll am Flügel, dass man streckenweise aufatmen kann, etwa wenn Schuberts „Ständchen“ eine ungewöhnliche Schauspielinterpretation – mehr gesprochen als gesungen – bekommt oder wenn der Friedrich-Hollaender-Song „Ich mache alles mit den Beinen“ eine extrem virtuose Wiedergabe erfährt. Oder wenn Werner Richard Heymanns Kunstlied „Die Kälte“ als Text fast nur hingehaucht wird. Überhaupt gibt es viel Musik, aber sie kann dieses Nichts eines Theaterabends nicht retten. Vielleicht auch, weil sie niemals laut dazwischenfährt, sondern nur endlos melancholisch dahinplätschert. Bis sich auch noch der Wohlwollendste fragt, was das alles soll.

Ich habe noch nie so viele Besucher gesehen, die in der Pause ihre Mäntel und Jacken an der Garderobe abholten und gingen. Möglicherweise lag es daran, dass sie am Ende nicht mehr da waren, dass es keinerlei Buhrufe gab, nur erschöpften Applaus.

Es ist ja zuletzt viel darüber nachgedacht worden, wie man nach drei Corona-Jahren wieder Publikum zurück ins Theater bekommt. Dieser Abend von Andrea Breth ist da aus meiner Sicht ein Paradebeispiel, wie man es nicht tun sollte. Und bei allem Verständnis dafür, dass Breth momentan in einer Verfassung ist, die ihr das Arbeiten schwer macht: In solchen Fälle sollte sie eine Regie und Stückkreation zurückgeben. Solch einen Abend in Einheitsgrau – mit grauen Wänden, Türen und Kostümen – als Bankrotterklärung der eigenen Kreativität zu präsentieren ist eine Beleidigung des Publikums. Weil diese Bankrotterklärung im Traumformat keinerlei Erkenntnisgewinn bietet.

Nur zum Vergleich: Der Film „Everything Everywhere All at Once“, der vor wenigen Tagen bei den Oscars abgeräumt hat, erzählt auf witzige Weise von einer Dekonstruktion von Realität, entführt in vermeintliche Traumwelten und zeigt das ganze Chaos des modernen Lebens. Mit allen Widersprüchen. Aber das geschieht mit Rasanz, mit Spaß und auch mit Bravour. Das Berliner Ensemble bietet in „Ich hab‘ die Nacht geträumt“ durchaus Schauspieler auf, die so etwas à la Michelle Yeoh, Ke Huy Quan und Jamie Lee Curtis können und das auch an dem Abend demonstrieren – aber all ihr Können verpufft angesichts der gepflegten Langweile, bei der nichts rasant oder brillant ist. Leider. Und so atmete ich beim Schlusschor „Gib mir den letzten Abschiedskuss“ (Text von Charles Amberg) auf und dachte: Endlich ist es vorbei!

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Kritik von Dr. Kevin Clarke

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