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Freitag, 31. März 2023

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Lucian Krasznec, Anna-Katharina Tonauer, Stella Kreitner, Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Copyright: Marie-Laure Briane

Lucian Krasznec, Anna-Katharina Tonauer, Stella Kreitner, Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, © Marie-Laure Briane

Hoffmanns Erzählungen am Gärtnerplatztheater

Klug zu Ende gedacht

Die „Barcarole“ aus Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ kennt jeder. Fragt man nach deren Herkunft, womöglich sogar im Kontext der durchaus verworrenen Handlung, wird es meist schnell dünn. Geht es darum, die Entstehungsgeschichte des erstens von Offenbach nicht vollendeten, zweitens zwischenzeitlich zensierten, drittens verschiedentlich rekonstruierten und bearbeiteten Werks nachzuvollziehen, wird es vollends unübersichtlich – die gesamte Chronologie lückenlos darzulegen, würde hier deutlich den Rahmen sprengen. Daher nur so viel: Gespielt wird am Gärtnerplatztheater die Münchner Fassung nach der quellenkritischen Neuausgabe von Fritz Oeser. Verantwortlich für die Inszenierung zeichnet Stefano Poda, der einen – allerdings nur vordergründig optisch – etwas vernebelten Blick auf das Werk freigibt.

Theatrale Leichtigkeit

Dass sich der konstant über dem Bühnengeschehen hängende Dunst-Schleier bis zum Ende nie wirklich lüftet, ist nämlich einer von vielen genialen Kunstgriffen des Regiekonzepts, das den düster angehauchten Handlungsebenen des Stücks bestens gerecht wird. Als „Fantastische Oper" hat Offenbach das Stück explizit bezeichnet, und an Fantasie fehlt es Poda wahrlich nicht. Seine Bilder sind von atmosphärisch dichter, beeindruckender Ästhetik, als Grundidee bewegt sich das Geschehen durch ein Labyrinth aus gläsernen Vitrinen. Damit lässt sich allerhand anfangen, im ersten Akt werden darin quasi als museal installierte Kunstdenkmäler Reminiszenzen an musikalische und literarische Meisterwerke sowie große Künstler heraufbeschworen. Darunter große Operndiven vergangener Tage, die sogar als dreidimensional holografische Porträts in Glasquadern erscheinen wie man sie heutzutage aus Souvenir-Shops kennt. Im zweiten Akt stehen die Vitrinen wirkungsvoll Pate für das faustisch-experimentelle Labor des Dr. Coppelius, in dem eine ganze Reihe geklont multiplizierter Olympias eingeschlossen ist.  Auch auf die Titel der literarischen Quellen nach E.T.A. Hoffmanns Erzählungen „Rat Crespel“, „Der Sandmann“, „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“ und „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“, auf denen die Essenz des von Jules für Offenbach maßgeschneiderten Librettos basiert, wird Bezug genommen. Auf diese Weise nutzt sich das Vitrinen-Prinzip nicht ab, die Personenführung bleibt immer in Bewegung, Ausstattungsmerkmale erhalten immer wieder neue Facetten. Die Inszenierung, so wolkenverhangen und milchig ausgeleuchtet sie im hervorragend getroffenen Grundton ist, behält trotz allem eine kunstvoll hochgehaltene theatrale Leichtigkeit. Schlüssig dargestellt sind am Schluss auch der Triumph der Kunst und die letztendliche Hingabe an die Muse. Einen grandiosen Effekt erzielt kurz zuvor auch die in gleißendes Licht und von schwarzen in weiße Kostüme getauchte Läuterung Hoffmanns. Podas Erzählweise überlässt nichts dem Zufall, so gut wie alles ist klug und ideenreich zu Ende gedacht. Allenfalls die mit Glasspitzen gespickten Sturzhelme im vierten Akt wirken optisch und symbolisch als Fremdkörper.

Gute Balance

Das überzeugende Regiekonzept wird flankiert von gesanglich wie darstellerisch überzeugendem Bühnenpersonal: Lucian Krasznec als glaubwürdig nervös aufgekratztem, immer am Abgrund zum rauschhaften Exzess wandelndem Hoffmann mit tenoral beweglichem, nur gelegentlich etwas nasalem Timbre folgt als Muse auf Schritt und Tritt mit warmer Mezzo-Fülle Anna-Katharina Tonauer. An vorderster Stelle zu nennen ist auch Alexander Grassauer als tiefschwarzer, kraftstrotzender Schlemiehl. Camille Schnoor begeistert als schlank phrasierende Giulietta und Andreja Zidaric geht virtuos mit Olympias Spitzentönen um. Jennifer O´Loughlin gibt eine gleichzeitig stimmstarke und physisch zerbrechliche Antonia, Matija Meić überzeugt als Lindorf, Coppelius, Dr. Mirakel und Dapertutto an allen baritonalen Fronten. In ein klanglich gut ausbalanciertes Gewand kleidet das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Oleg Ptashnikov das Geschehen. Lediglich im „Kleinzack-Lied“ könnten aus dem Graben etwas pointierte rhythmische Impulse kommen. Ansonsten im wahrsten Sinne des Untertitels ein durch und durch fantastischer Opernabend.

Kritik von Oliver Bernhardt

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