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Daniel Harding mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, © Astrid Ackermann
Das BRSO und Kirill Gerstein in der Münchner Residenz
Auf einer Wellenlänge
Zwei Artists in Residence leistet sich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk in dieser Spielzeit, neben Tabea Zimmermann spielt der russisch-amerikanische Pianist Kirill Gerstein mehrere Programme mit dem BRSO, in den beiden Konzerten dieser Woche gestaltet er ein rein romantisches Programm mit.
„Aufgeregter Seelenzustand“
Doch zunächst gibt es vor der Pause Schumanns „Manfred“-Ouvertüre op. 115 nach Lord Byrons gleichnamigem dramatischem Gedicht. Als etwas „ganz Neues und Unerhörtes“ kündigte Schumann die komplette Schauspielmusik Franz Liszt an, der das Werk in seiner Gesamtheit 1852 erstmals aufführte. Gehalten hat sich im Konzertbetrieb die Ouvertüre, am Pult steht an diesem Abend mit Daniel Harding, soeben frisch gekürter zukünftiger Musikdirektor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, ein langjähriger künstlerischer Freund des Orchesters. Harding setzt leidenschaftliche Akzente und lässt die Atemlosigkeit des „aufgeregten Seelenzustands“, wie Schumann selbst ihn beschreibt, in der Musik spüren. Auf romantisch lodernder „Florestan“-Flamme kocht er auf der einen Seite, auf der anderen lässt er beim „Astarte“-Motiv lyrische „Eusebius“-Milde walten und formt sehnsuchtsvolle Holzbläser-Seufzer. Wo hier noch nicht alles, z.B. ein paar nicht ganz sauber angesetzte Trompetentöne, bis ins letzte Detail ineinandergreift, legt sich das vollends in Dvořáks verhältnismäßig selten gespielter symphonischer Dichtung „Die Waldtaube“ op. 110. Hier stimmt von Anfang an nicht nur das musikalische Narrativ der gefühlt Wort für Wort in ihrer ganzen epischen Breite erzählten makabren Geschichte aus einer Balladensammlung des tschechischen Dichters Karel Jaromír Erben. Auch die orchestralen Proportionen vom tänzerischen Esprit des Furiant über wohlige Streicherharmonie und das fein ziselierte Waldtauben-Motiv bis hin zum kleinen, aber feinen Violinsolo von Konzertmeister Anthon Barakhovsky sitzen perfekt. Wie zuvor bei Schumann: Ein in sensiblem Pianissimo verklingendes Ende.
Lebendige Konversation
Ohne literarische Vorlage kommt der zweite Teil aus. In Brahms´ Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 nimmt Gerstein am Flügel Platz. Das passgenaue Horn-Solo greift er gefühlvoll auf. Die enormen pianistischen Schwierigkeiten hört man dem Werk äußerlich oftmals nicht an, mit sicherem Zugriff und vollgriffig tragfähigen Akkorden ist Gerstein jederzeit Herr der technischen Lage. Hauptmerkmal ist aber, wie gut er und das BRSO kommunizieren. Beide Seiten stehen in ständigem aufmerksamem Kontakt und funken auf einer Wellenlänge, die Verbindung reißt zu keiner Zeit ab. Die Folge ist eine ungewöhnlich farbreiche und lebendige Konversation – auch deswegen, weil Harding dem Orchester eine gewichtige, dynamisch stark differenzierende Stimme gibt. Beide treten mit einem gesunden Selbstbewusstsein auf, vergessen darüber aber nie, zu interagieren. Im zweiten Satz übernimmt das Klavier eine leidenschaftliche, aber nie egoistische Führungsrolle, strahlt quasi eine natürliche Autorität aus. Das BRSO punktet mit voluminösem Pathos. Im „Andante“ zeigt Gersteins Spiel intensive melodische Präsenz, im Schlusssatz hohe Elastizität und leichtgängig-frisches Passagenwerk. Die Feinabstimmung mit dem BRSO stimmt bis in rhythmische Verschiebungen und schwelgerische, agogisch dehnbare Klangfülle. Das Einzige, was man schmerzlich vermisst: Die gespannt erwartete Zugabe von Gerstein.
Kritik von Oliver Bernhardt
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