1 / 4 >
Lisa Batiashvili, BR-Symhonieorchester, Jakub Hrusa, © Astrid Ackermann
Das BRSO mit Lisa Batiashvili und Jakub Hrusa
Plädoyer für Martinu
Zuletzt 2014 war Lisa Batiashvili mit Prokofjews Violinkonzert Nr. 1 beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast. Ein für Mai 2020 geplantes Konzert unter der Leitung von Lorenzo Viotti musste pandemiebedingt abgesagt werden. In dieser Woche ist es nun soweit: Nachdem die Wahl-Münchnerin anlässlich des Jahrestags des russischen Angriffs auf die Ukraine noch einige Tage zuvor ein Solidaritätskonzert auf dem Odeonsplatz gegeben hatte, spielt sie am Wochenende zusammen mit dem BRSO und Jakub Hrusa am Pult in der Münchner Isarphilharmonie Sibelius' Violinkonzert d-Moll op. 47.
Besondere Beziehung
Eine besondere Beziehung hat sie zu diesem Werk seit sie damit im Alter von 16 Jahren den zweiten Preis beim Sibelius-Wettbewerb in Helsinki gewann – ein Erfolg, der ihr die Türen zu einer Weltkarriere weit öffnete. Gleich zu Beginn begeistert ihr expressiver, von atmosphärisch dicht tremolierenden Streichern umhüllter „dolce ed espressivo“-Ton, der die tragende Weite von Sibelius' Musik erfasst. Auch in der vom Solopart allein gespielten Durchführung gelingt Batiashvili meisterhaft die Mischung aus großer rhapsodischer Geste, meditativer Reflexion und vordergründig musikalisch nicht virtuos erscheinendem, technisch aber hoch anspruchsvollem Passagenwerk. Hrusa formt massive Crescendi, am Ende des ersten Satzes kommt es allerdings zu leichten Divergenzen zwischen Orchester und Solopart. Die gesanglichen Linien des Mittelsatzes zeichnet Batiashvili mit gewichtiger Intensität und hoher Pianissimo-Sensibilität. Rhythmisch straff und zwingend geführt ist der tänzerische Dialog des Schlusssatzes. Der Geigenton der 1739er-Guarneri hat in allen Registern einen edlen, charismatischen Klang. Die Eigenschaften des Instruments sind das eine, sie musikalisch so überlegen einzusetzen wie Batiashvili, das andere. Als Zugabe spielt sie ein finnisches Abendlied, arrangiert für Violine und Orchester von Jarkko Riihimäk. Noch einmal schwelgt sie in weiträumigen nordischen Kantilenen.
Lichtdurchflutete Klangräume
Umrahmt wird ihr Vortrag von zwei Werken Bohuslav Martinus. Zunächst aus eigenem Antrieb zu Kompositionsstudien nach Paris übergesiedelt, danach kriegsbedingt in die USA emigriert, ab 1953 phasenweise zurückgekehrt nach Europa und doch immer im Geist seiner Heimat verwurzelt, finden sich in seiner Musik stilistische Einflüsse aus Impressionismus, amerikanischem Zeitgeist, Avantgarde und mährisch-folkloristischen Elementen. Unter dem titelgebenden Eindruck der Betrachtung von Freskenbildern in der Basilica di San Francesco in Arezzo ist sein dreisätziges Tongemälde „Les fresques de Piero della Francesca“ entstanden. Mit breitem Pinselstrich malt Hrusa Klangfarben von voluminöser Fülle, gebettet auf saftige Streicherklänge. Vereinzelt kommen Blech-Einsätze und Perkussionsimpulse hier noch nicht genau auf die Zählzeit. Im „Adagio“ öffnet Hrusa lichtdurchflutete Klangräume. Im dritten Satz sitzen die synkopierten Akzente, Klangschichten verschmelzen organisch, die dynamische Amplitude schlägt weit aus. Noch schafft er es hier aber nicht, mit der ganzen Farbpalette des BRSO zu malen.
Agogischer Antrieb
Vollends gelingt das in Martinus Symphonie Nr. 1. Gewidmet ist sie dem Andenken von Natalie Koussevitzky, der Frau von Serge Koussevitzky, der sich in Amerika stark für Martinu und seine Musik einsetzte. Von den aufsteigenden Streicherskalen zu Beginn behält Hrusas Dirigat gestalterische Präsenz und steigert sich in einen anhaltenden soghaften Rausch. In den wechselhaften Abschnitten des zweiten Satzes entwickeln sich von stampfenden Rhythmen angetriebenen Kräfte und dynamisch hochschlagende Wellen. Im „Largo“ breitet sich ein aus der Tiefe aufsteigender üppiger Streicherteppich aus. Hrusa führt die weit gefassten Bögen sicher zum Ziel und entwirft ein großes symphonisches Narrativ. Der Schlusssatz setzt dank guter Dosierung und der Isarphilharmonie-Akustik nochmals pointierte, bis in die Klavierspitzen hörbare rhythmische Akzente. Warme Holz-Kantilenen, weiches Streicher-Unisono und bunte folkloristische Farben runden das eindringliche Plädoyer für Martinus im Konzertsaal noch immer stark unterrepräsentiertes Oeuvre ab, Hrusas Dirigat verliert nie den agogisch umtriebigen Antrieb.
Kritik von Oliver Bernhardt
Kontakt aufnehmen mit dem Autor
Kontakt zur Redaktion
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel.
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich