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Szenenfoto, © Ksenia Orlova
Das Bayerische Staatsballett mit Balanchines "Jewels"
Funkelnde Preziosen
Die Auslage in einem New Yorker Juweliergeschäft soll den Anstoß für George Balanchines dreiteiliges, nach den entsprechenden Edelsteinsorten benanntes, farblich und geographisch unterteiltes Ballett „Jewels“ gegeben haben. 1967 wurde es in New York uraufgeführt, bis Herbst 2018 hatte es gedauert, bis es erstmalig in München gezeigt wurde. „Jewels“ ist kein Handlungsballett, die drei Bilder speisen sich aus den Charakteristika der jeweiligen Steine und den damit choreographisch in Verbindung gebrachten Destinationen einer stilistischen Zeitreise.
Ästehetische Symmetrie
„Emeralds“ heißt der erste, farblich in grüne Smaragd-Töne getauchte, thematisch in Frankreich angesiedelte Abschnitt der getanzten Glitzerwelt. Aufgrund einer Verletzung des ursprünglich vorgesehenen Vladislav Kozlov im Vorfeld kommt es zu einigen Umbesetzungen: Elvina Ibraimova und Ariel Merkuri tanzen das erste Solo-Paar, erst zwei Tage zuvor haben sie damit ihr Rollendebüt in diesem neoklassischen Stück gegeben. Ibraimova weiß zu überzeugen, Merkuri kann da technisch leider nicht ganz mithalten, seinen Hebungen fehlt die Leichtigkeit. Überstrahlt werden beide vom Smaragd-Glanz des zweiten Solo-Paares: Jeanette Kakareka und Vladislav Dolgikh harmonieren weit besser und agieren mit mehr physischer Ausdrucks- und Spannkraft. Gut gelingt auch die ästhetisch geformte Symmetrie der Ensembleszenen zur Musik von Gabriel Faurés „Pelléas et Mélisande“ op. 80 und aus der Suite „Shylock“ op. 57. Als weitere Besetzungsänderung tanzt Bianca Teixeira im Pas de trois, der gemeinsam mit Carolina Bastos Shale Wagman aus einem ästhetischen Guss gelingt. Auch in seinen Solo-Passagen ragt Sprungwunder Wagman heraus. Erkennbar ist dieser Teil eine Reminiszenz an das Frankreich der 1920er-Jahre, an „das Frankreich der Eleganz, des Komforts, der Mode und des Parfüms“, wie Balanchine, der eine Zeitlang der berühmten Compagnie der „Ballets Russes“ von Skandalregisseur Sergej Diaghilew angehörte, selbst sagte.
Blindes Verständnis
Eine sinnlich aufgeladene und erhitzte Atmosphäre verbreitet „Rubies“. Die perkussiv herausfordernde Musik von Igor Strawinskys „Capriccio for piano and orchestra“ liefert die rhythmisch pointierte Grundlage. In dunkelroten Farbtönen porträtiert Balanchine hier das pulsierende Broadway-Leben seiner künstlerischen Wahlheimat New York. In temperamentvoller Harmonie verkörpern Lauretta Summerscales und Yonah Acosta als Solo-Paar den Esprit dieser amerikanischen Episode. Das blinde tänzerische Verständnis merkt man ihnen an – sie sind (wie Jeanette Kakareka und Jinhao Zhang) auch privat ein Paar. Eine solide Vorstellung liefert auch Solistin Prisca Zeisel ab, nicht ganz stabil wirkt sie bei den Arabesques penchées. Aus dem Herren-Ensemble tut sich besonders Yago Gonzaga hervor. Fulminant wirbelt das Corps de Ballet durch die vielfältigen tänzerischen Aggregatzustände dieser Mischung aus expressionistischer Avantgarde, Tango, Steptanz und Jazz.
Emotionen und Formen
Der letzte Teil „Diamonds“ führt nach Russland und ist eine Hommage an Balanchines dortige Kindheit und Jugend. Unverkennbare Anleihen an Großmeister Marius Petipa sind genau das Richtige für das Solo-Paar Madison Young und Jinhao Zhang. Diese beiden sind eine Ausdrucksklasse für sich und begeistern mit vollendeter Technik und schwerelos-edler Eleganz nicht nur im großen Pas de deux, sondern auch in den virtuosen Solopassagen. Die Sätze Nummer zwei bis fünf aus Tschaikowskys Symphonie Nr. 3 D-Dur op. 29 bilden die spätromantische musikalische Grundlage. Umbesetzungsbedingt tanzt hier nochmals Vladislav Dolgikh als einer der vier Solo-Herren – und überzeugt erneut. Das Bayerische Staatsorchester verleiht den Preziosen zumindest weitgehend den nötigen klanglichen Feinschliff, auch polyphone Elemente im Finalsatz von Tschaikowskys „Dritter“ sitzen. Lediglich in „Rubies“ lassen sowohl Dirigent Robert Reimer als auch Pianist Dmitry Mayboroda die beißend akzentuierende Schärfe von Strawinskys Musik vermissen. Schade nur, dass der Abend insgesamt relativ kurz ist. Es heißt, Balanchine habe noch einen vierten Teil, „Saphires“ zu Musik von Arnold Schönberg geplant gehabt. Bis heute ist nicht ganz klar, warum daraus nichts geworden ist. Eine Handlung hat „Jewels“ wie gesagt nicht – auf diesem Niveau getanzt, erzählt es aber viel über Formen und Emotionen. Großer Jubel am Ende beweist: Gut, dass diese wertvolle Kollektion im Repertoire des Bayerischen Staatsballetts Fuß gefasst hat.
Kritik von Oliver Bernhardt
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