> > > > > 24.02.2023
Freitag, 31. März 2023

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Szenenfoto, Copyright: Jean-Marc Turmes

Szenenfoto, © Jean-Marc Turmes

Begeisternder Werther am Gärtnerplatztheater

Mitten ins Herz

Eine Neuproduktion von Massenets „Werther“ gibt es derzeit im Münchner Gärtnerplatztheater zu sehen, verantwortlich für die Inszenierung zeichnet Herbert Föttinger. Schon bevor sich der Vorhang hebt, lässt er das Stück beginnen: Zu den Klängen des Vorspiels werden auf den Vorhang Textpassagen aus Goethes zu Grunde liegendem Briefroman projiziert – und verfehlen ihre emotional berührende Wirkung nicht. Diese Form der Zitierweise wird über den weiteren Abend hinweg fortgesetzt, starke Statements, die das Bühnengeschehen wirkungsvoll unterstreichen.

Stilistisch stimmig

Die Bilder und Kostüme sind stilistisch stimmig in die Entstehungszeit der Oper verlegt, die Belle-Époque-Gemälde von Walter Vogelweider (Bühne) sind von hohem ästhetischem Stimmungsgehalt, wunderbar ausgeleuchtet von Peter Hörtner. Hervorzuheben ist auch die Personenführung: Die Figuren interagieren zu jeder Zeit dramaturgisch zielgerichtet, auch in der Darstellung von Zuständen herrscht kein Leerlauf, Föttingers Regiekonzept verliert niemals die erzählerische Präsenz. Entscheidend Weiteres zum umfassend gelungenen Gesamtpaket tragen die Stimmen und das Orchester bei. Die Titelrolle ist mit Lucian Krasznec hervorragend besetzt. Sein schlankes, geschmeidiges Tenor-Timbre ist der beanspruchenden Partie – nicht nur im berühmten „Pourqoui me reveiller“ oder dem flammenden Appell an das Schicksal im großen Monolog des zweiten Akts – überzeugend gewachsen. Stimmlich wie darstellerisch verkörpert er glaubwürdig den schwermütig-zerbrechlichen Charakter des Romanhelden. Sein Werther ist durchaus zu leidenschaftlichen Ausbrüchen fähig, seinem Wesen nach aber eher reflektiert und kein blindlings extrovertierter Draufgänger. Krasznecs französische Aussprache gehört unter den Darstellern zu den besten, nur stellenweise formt er zu starke Nasale. Sophie Rennert ist eine Charlotte, der man die über die Jahre zwischen zwei Männern hin- und hergerissene Unentschlossenheit abkauft, ihr warm gefärbter Mezzo ist jederzeit höhensicher. In Momenten intimer sinnlicher oder verzweifelt unentschlossener Zweisamkeit geht das authentische Zusammenspiel beider – auch dank Föttingers fokussierter Regieführung – mitten ins Herz. Ilia Staples (Sophie) Sopran verfügt über jugendlich frische Strahlkraft. Daniel Gutmann hat als Albert zwar eine nicht immer verständliche französische Aussprache, punktet aber mit einem stabilen, kraftvollen Bariton und schauspielerisch souveräner Haltung.

Orchestrales Psychogramm

Gut aufgehoben ist auch die Partitur beim Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter Anthony Bramall. Sein Dirigat zeigt nahezu keine Divergenzen in der Tempobehandlung und der Koordination mit den Stimmen, auch die klangliche Balance bleibt an die akustisch-räumlichen Dimensionen des Theaters stets angepasst. Dazu versteht es Bramall, dynamisch an den richtigen Stellschrauben zu drehen und lässt die Gefühlswellen gut dosiert höherschlagen. In emotionalen Extremsituationen, vor allem der Sterbeszene im vierten Akt zeichnet er ein regelrecht durchdringendes orchestrales Psychogramm. So wird dieser Abend zum echten, packenden „Drame lyrique“ im besten Sinn der Bezeichnung Massenets. Zu Recht großer Jubel für eine Produktion, die hoffentlich lange auf dem Spielplan bleibt.

Kritik von Oliver Bernhardt

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