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Szenenfoto Antikrist, © Thomas Aurin
Die Deutsche Oper Berlin nimmt Langaards Antikrist wieder auf
Weltuntergangsstimmung
Obwohl er über 400 Werke, darunter 16 Symphonien komponierte, blieb der Däne Rued Langgaard, geboren 1893, zeitlebens ein Außenseiter und Einzelgänger. Auch seine einzige Oper „Antikrist“, die er zwischen 1921 und 1923 schrieb und erst 1930 vollendete, war ein Schmerzenskind, kämpfte er doch bis zu seinem Tod 1953 vergeblich um eine Aufführung. Grund dafür war das schwer verständliche, von ihm nach biblischen und philosophischen Texten selbst verfasste Libretto. Vereinfacht gesagt geht es um den Verfall der Menschheit. Mit Zustimmung Gottes wird der Antichrist vom Teufel in die Welt geschickt, um sie in Gestalt allegorischer Figuren – etwa die Lüge, der Hass, der Missmut - negativ zu beeinflussen. Doch die Untergangsprophetie erfüllt sich nicht, die Oper endet optimistisch: Antichrist wird von Gott vernichtet.
„Antikrist“ wurde szenisch erstmals 1999 in Innsbruck gegeben, 2002 schloss sich die dänische, für das Label Danacord mitgeschnittene Premiere in Kopenhagen an und auch im kleinen Stadttheater Mainz wagte man sich 2018 an den Brocken. 2022 folgte eine Produktion an der Deutschen Oper Berlin mit solch unerwartet großem Zuspruch, dass nur ein Jahr später eine Wiederaufnahme angesetzt wurde. Die Begeisterung resultiert zu gleichen Teilen aus Langgards starker, spätromantisch schillernder Musik und der kongenialen Bühnengestaltung des Regisseurs Ersan Mondtag, dem es gelingt, für das abstrakte Geschehen schlüssige Bilder zu finden. Er orientiert sich am Expressionismus, die Bühne zeigt eine Straße zwischen zwei Häuserfronten im Farbstil der „Brücke“-Maler. Bevölkert wird sie von einem Panoptikum grotesk ausstaffierter Figuren: Zwitterwesen, halb Frau, halb Mann, Höllengestalten mit Hörnern, tanzende schwarz-weiße Skelette (Choreographie Rob Fordeyn). Auch Gottes Stimme bekommt ein Gesicht. Es ist der zunächst nackte Schauspieler Jonas Grundner-Culemann, der zu Luzifers Begleiter wird. Am Ende schwebt eine ihm täuschend ähnelnde, überlebensgroße Christus-Puppe vom Bühnenhimmel, als Symbol für die wiedergewonnene Unschuld. Mondtags überbordende, assoziationsreiche Bilderflut findet ihre Entsprechung in Langgaards faszinierender, von Wagner, Strauss und Schönbergs „Gurreliedern“ beeinflusster Klangwelt.
Dirigent Stephan Zilias lässt das Riesenorchester samt Bühnenmusik rauschhaft aufblühen, arbeitet die vielschichtigen Farben der Partitur heraus und überdeckt dabei nie das vorzügliche Ensemble: darunter die leuchtende, mühelos die Orchesterfluten überstrahlende Flurina Stucki als Hure, der autoritäre Thomas Lehman als Luzifer, der pointiert charakterisierende Populist – im Stück genannt: der Mund, der große Worte spricht - von Clemens Bieber, die mezzosatte Rätselstimmung von Irene Roberts und nicht zuletzt der klangprächtige Chor. Die vom Publikum bejubelte Vorstellung wurde für eine DVD-Produktion aufgezeichnet.
Kritik von Karin Coper
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