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Dirigent Andris Poga, © Janis Deinats
Bjarnasons Konzert für Schlagzeug und Orchester mit dem DSO
Grubingers infernalischer Abschied von Berlin
Der Kontrast hätte nicht größer sein können: Im ersten Teil des DSO-Konzerts trat der Schlagzeuger Martin Grubinger auf und stellte das nagelneue, für ihn komponierte Konzert für Schlagzeug und Orchester von Daníel Bjarnason (geb. 1979) vor. Unabhängig davon, wie man die Musik des isländischen Komponisten findet, ist die Wiedergabe durch Grubinger ein Ereignis, weil es faszinierend ist, die schiere Spielfreude zu beobachten, mit der er sich in dieses 30-Minuten-Stück stürzt. Zum anderen ist Grubingers Spiel – mit den vielen verschiedenen Trommeln, Glocken, Holzbrettern usw. – eine sportive Leistung, der man gebannt zuschauen kann, noch bevor man zuhört.
Nach einem derart explosiven Auftritt mit dem dreiteiligen Konzert, das den Titel „Inferno“ trägt und durch verschiedene Stimmungen und Klangfarben zu „Dunklen Gestaden“ führt, war es nachgerade ein Schock zu erleben, wie Andris Poga als Dirigent das restliche Programm leitete: Denn obwohl Mussorgskys „Johannisnacht auf dem Kahlen Berg“ ebenso wie die Ausschnitte aus Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ teils überbrodeln vor Spannung, stand Poga meist nur da und schien emotional unbeteiligt irgendetwas zu dirigieren. Da kam kein Starkstromeffekt auf, obwohl die Konzertmeisterin sich (vielleicht als Verzweiflungstat?) mit solchen Furor ins Geschehen schmiss, dass man staunte, was die ihr folgenden Streicher da alles machten – und wie Poga trotzdem komplett ungerührt weiter mit den Armen im Takt ruderte. Auch die Celli (speziell das Solo-Cello) lieferten in der „Romeo und Julia“-Liebesszene einen Schmelz, der von sengender Schönheit war; aber der Dirigent nutze diese Spielfreude der Musiker nicht, um aus beiden russischen Werken Funken zu schlagen und etwas Außergewöhnliches erstehen zu lassen.
Das heißt nicht, dass Pogi das Orchester nicht im Griff hatte oder das irgendwas schlecht gespielt gewesen wäre. Aber es fehlte das, was Grubinger zuvor in Überfülle geboten hatte, nämlich Ausstrahlung und Kommunikation mit und durch Musik. Es fehlte für mich auch beim Mussorgsky (in der Originalfassung von 1867) die genau abgestufte Steigerung dieses Hexensabbats. Da war kein Nervenkitzel zu spüren, der sich am Ende an der eigenen dunklen Magie zur Ekstase hochschraubt, da war vom ersten Ton an bereits alles laut und gleich. Und damit letztlich langweilig.
Für Grubinger war es der letzte Auftritt in Berlin. Der 39-jährige Österreicher hatte angekündigt, seine aktive Podiumskarriere im Sommer 2023 zu beenden. Wenn man die enorme körperliche Leistung seines Auftritts beobachtete, dann ist verständlich, dass so etwas irgendwann einfach nicht mehr geht. Und Grubinger will scheinbar in Topform abtreten. Er wurde vom Berliner Publikum in der randvollen Philharmonie frenetisch gefeiert und mit Liebe überschüttet. Und gab dann eine Zugabe, von der er selbst sagte, es sei mehr Sport als Musik. Aber genau diese Kombination – und der Witz, mit dem er diese Hochleistungsetüde servierte – machte seinen Auftritt so singulär, ebenso wie alle anderen Auftritte, die ich in den letzten Jahren mit ihm erleben durfte.
Dass er sich das DSO als Abschiedspartner für Berlin ausgesucht hat, ist rührend. Mit den beiden DSO-Paukern führte er im Bjarnason-Konzert im langsamen zweiten Satz ein intimes Duett auf an drei Pauken. Das hatte einen ganz eigenen Charme und eine sehr besondere Intensität. Die wird die Radioübertragung bzw. eine reine Tonaufnahme niemals einfangen können. Umso wichtiger war es, live dabei gewesen zu sein und dem Zauber des Schlagwerks zu erliegen.
Kritik von Dr. Kevin Clarke
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