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Szenenfoto, © Felix Grünschloß
Ottone zur Eröffnung der 45. Händel-Festspiele in Karlsruhe
Mehr als nur ein Fest der Stimmen
Königinwitwen sind gnadenlos, wenn es darum geht, den eigenen Sohn auf dem Herrscherthron zu sehen. Machtmenschen schwächeln, wenn sie menschliche Gefühle zeigen. Heiratspolitik hat selten Liebespaare zusammengebracht. Menschliche Unreife und starre Konventionen führen unweigerlich ins Verderben. Davon erzählt Georg Friedrich Händels „Ottone, Re di Germania“.
Mit dieser Oper eröffnete das Staatstheater Karlsruhe am Faschingswochenende die 45. Auflage der Händel-Festspiele. Sängerstars begeisterten ein enthusiasmiertes Publikum. Es saß in den oberen Rängen, bemaß mit Applaus und Zurufen die Leistungen der Künstler, kaum dass der Atem nach dem letzten Ton verströmte. So muss es sich vor 300 Jahren angefühlt haben, als Georg Friedrich Händel mit der Uraufführung von „Ottone – Re di Germania“ im Opernhaus am Haymarket den Impresario-Olymp erklomm. Sein Erfolgsrezept war ein einfaches: Weltklasse-Stars und ein Sujet, das reale Bezüge aufweist, aber sich dann doch nur auf die menschlichen Seelennöte der Protagonisten konzentriert.
Händel hatte vier Jahre zuvor in Dresden anlässlich der Einweihung des neuen Opernhauses am Zwinger „Teofane“ von Antonio Lotti gesehen. Die Künstler begeisterten ihn, aber auch der Stoff nach einer Dichtung von Stefano Benedetto Pallavicino. Beides wollte er nach London bringen. Er beauftragte seinen Librettisten Nicola Francesco Haym, „Teofane“ umzuschreiben, dünnte selbst das Sujet noch aus und schrieb die Partien um, damit seine Sängerstars brillieren konnten. Im Ergebnis bildete der historische Stoff nicht mehr als eine Klammer für Machtpolitik und Intrigen, raumgreifend zur Wirkung gebracht durch eine kunstvolle, reich verzierte wie hochemotionale Musik.
Darauf konzentriert sich Regisseur Carlos Wagner in seiner Karlsruher Inszenierung. Mit analytischer Scharfsicht führte er dem Festspiel-Premierenpublikum die psychische Struktur der Protagonisten vor Augen. In Körper, Haltung, Bewegung, Kostüme schärfte er den Blick für den emotionalen Konflikt, der über den Gesang eine herrlich schmerzhafte Differenzierung erfährt. Scharfe Töne bis hin zum gesungenen Schrei gehörten ebenso dazu wie martialisch ausgestoßene Verzierungen und schmerzvoll sich windende Koloraturen.
Ein ideales Umfeld für beste Wirkungen stellte Christophe Ouvrard bereit. Er entwarf eine Mauerfassade mit Treppen, marmorstaubgrauer Neobarock, rechts und links in der Höhe je ein Thron, dazwischen eine Balustrade mit Verbindungsgang, die im zweiten Teil des Opernabends gedreht Einblicke auf ein Trümmerfeld hinter der Fassade gewährte. Emotionale Verbindungen zwischen den Paaren kennzeichnete er durch aufwendige Kostüme, die im Karneval als Reminiszenz an Prunk und Pracht der Barockzeit wie Kaiserhäuser bewundert würden.
Die Königinwitwe Gismonda und ihr Sohn Adalberto kleidete er in ebenso marmorgraue Barock-Gewänder wie die Fassade der kaiserlichen Macht. Mädchenhaft goldig und einer ägyptischen Göttin ähnlich zierte Teofane, böser Zauber umgab Matilda, Ottone glich einem Kriegsgott antiker Zeiten.
Nicht in drei Akten, sondern in zwei Teilen strukturierte Carlos Wagner seine Inszenierung. Im ersten Teil setzte er die Ausdruckskraft der Pantomime und der Schattenspiele im Verbund mit seiner in Zeitlupe getakteten Personenregie ein. Die Wirkung war grandios. Die Finessen der hochemotionalen Musik, wie sie die Deutschen Händel-Solisten im Orchestergraben hinreißend ausmusizierten, erfuhr eine selten zu erlebende Intensität. Das gelang, weil jeder einzelne Musiker im Orchestergraben technisch perfekt und von Händels Klangverständnis durchdrungen musizierte.
Carlo Ipata am Pult garantierte für weit mehr als nur für den Zusammenhalt. Er atmete mit den Musikern und den Sängern und sicherte damit die Voraussetzung für eine bestmögliche Entfaltung der Protagonisten auf der Bühne. Das funktionierte sogar im zweiten Teil, zumal Carlos Wagner jetzt bei aller zeitlich natürlich getakteten Bewegung eine tableauartige Szenengestaltung beibehielt.
In diesem Umfeld brillierte das Solistenensemble. Lena Belkina verkörperte eine von Ehrgeiz und Machtgier zerfressen Gismonda, die mit stimmlicher Strahlkraft und Härte durchaus zu weichen Tönen in der Lage ist, aber weniger im Augenblick der Sorge um ihren Sohn, sondern in der geistigen Verbundenheit zu Matilda. Sonia Prina spielt sie raubeinig, zwischen Enttäuschung und Liebe hin- und hergetriebenen bis an den Rand schmerzlichster Töne. Lucía Martín-Cartón mimte Teofane mit lyrischem Schönklang. Gerade weil Händel vor allem den Wünschen seiner Sängerinnen nachkam, gilt „Ottofane“ als eine Oper für starke Frauen. In Karlsruhe erlebte man starke Männer. In den wenigen Momenten, die Händel für die Partie des vermeintlcihen Piraten Emireno vorsah, überzeugte der Bassist Nathanaël Tavernier. Der Countertenor Yuriy Mynenko in der Titelrolle des Ottone bewies Gestaltungs- und Ausdrucksfähigkeit in allen Lagen, begeisterte durch seine Spiellust in dem zur Trinkszene umgedeuteten Auftritt mit seinen Komparsen. Brüchig in manchem Höhengang und der Rolle geschuldet, beweglich in den Koloraturen, stilsicher in den Phrasierungen bot der Countertenor Rafael Pe einen tiefen Blick in die Psyche des gescheiterten Sohnes.
Ein lieto fine lässt Regisseur Carlos Wagner nicht zu. Hier schließt sich der Kreis zwischen der historischen Vorlage und der Realität. So sitzen sie im Schlussbild jeder auf seinem Platz, durch ihr Spiel und die Musik in ihrer Seele blank und sichtbar. Großartig!
Kritik von Christiane Franke
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