Paavo Järvi, © Ixi Chen
Faszinierender Haydn
Begegnungen der ersten Art
Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das ist eine Verbindung, die auf einen langen Zeitraum gemeinsamen Musizierens zurückblicken kann. So überraschte es nicht, dass das Konzert „Mit Pauken und Trompeten“ zu einem überzeugenden Plädoyer für Haydn wurde. Dessen sogenannte „Londoner Sinfonien“ sind so bekannt, dass es schon einer besonderen Annäherung bedarf. Järvi, der oft zu strammen Tempi neigt, reinigte diese Sinfonien von überkommenem Interpretationsmüll, der sich so im Laufe Zeit bei Haydns Werken angesammelt hat.
Die Mischung mit modernen Instrumenten und ventillosen Barocktrompeten und -hörnern, hölzernen Querflöten, Kontrabässen mit Darmsaiten in der sogenannten „Wiener Stimmung“ und barocken Paukenschlägeln mit Holzkopf sorgte für ein apartes historisches Klangbild.
Eine intelligente Stimmführung ergab eine wahrhaft außergewöhnliche Interpretation voller strahlender Virtuosität und kontrastreicher Dynamik der spritzigen Sinfonie Nr. 100 in G-Dur, deren Beinamen "Militär" nebenbei bemerkt, der Einzige ist, der durch Haydn verbürgt ist. Dieser resultiert vor allem aus dem Erklingen der „Janitscharenmusik“ im zweiten und vierten Satz. Interessant ist hierbei, dass diese Feldmusik mit Militärcharakter in Wien vor dem Hintergrund der Türkenkriege als „türkische Musik“ verstanden wurde, in England jedoch vor dem Hintergrund der Kriege mit Frankreich als optimistische Nationalmusik. Wie dem auch sei. Paavo Järvi inszenierte das Auftreten der „Feldmusik“ mit ironischem Augenzwinkern als Einmarsch in den großen Saal der Glocke und Eroberung der Bühne. Was ebenfalls nicht fehlte, war das Flackernde, der Mut zu forcierten Kontrasten. Die dramatischen Höhepunkte resultierten gleichsam aus der inneren Triebkraft der Klänge, deutlich zu hören in den vertrackten Übergängen des faszinierenden Finales.
Das galt auch für die weiteren Sinfonien, Nr. 96 in D-Dur ("Das Wunder") und Nr. 103 in Es-Dur ("Paukenwirbel"). Deren „Introduktion erregte die höchste Aufmerksamkeit", vermeldete damals ein Kritiker nach der Uraufführung von Joseph Haydns Es-Dur-Sinfonie. Es ist in der Tat ein bizarrer Sinfoniebeginn bis heute. Weder Dauer noch Dynamik des einleitenden Wirbels werden von Haydn vorgeschrieben. Die Ausgestaltung liegt in der Hand des Dirigenten. Paavo Järvi wählte, wie schon vor ihm Nikolaus Harnoncourt, die reizvolle Möglichkeit, dieses Solo auf mehrere Takte auszuweiten.
Järvi bot vor dem Hintergrund einer Partiturtreue, Liebe zum Detail und eine Interpretation, die durch Raffinesse, Eleganz und Virtuosität, gepaart mit Ironie restlos überzeugte. Hier wurde weder überinterpretiert noch dem Klischeebild vom harmlosen Haydn Rechnung getragen. So überlegen suggestiv hört man diese Werke nur selten und so vorbildlich musiziert vielleicht noch seltener. Gleiches galt auch für die Ouvertüre aus der Oper "Rosina" von William Shield, einem Zeitgenossen Haydns.
So wie Järvi „seinen“ Haydn dirigiert, muss man unbedingt an das spektakuläre Beethovenprojekt vor rund zehn Jahren denken. Hier hatte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen wichtige Impulse in der Interpretation gesetzt. Wie Geschäftsführer Albert Schmitt bei einem kurzen Gespräch am Rande des Konzertes mitteilte, ist ein Haydn-Projekt in Planung, dass dann auch auf Tonträger erscheinen soll. Es dürfte ähnlich spektakulär werden.
Nach einer spritzigen Zugabe (1. Divertimento von Leo Weinert) gab es am Ende berechtigten enthusiastischen Beifall im ausverkauften großen Saal der Bremer Glocke.
Kritik von Michael Pitz-Grewenig
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