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Anja Kampe (Brünnhilde), Andreas Schager (Siegfried), Komparserie, © Monika Rittershaus
Berliner „Götterdämmerung“ mit Thielemann, Schager, Kares und einer wehmutsvollen Violeta Urmana
Ein „Ring“-Experiment geht zu Ende
Mit der „Götterdämmerung“ geht ein ungeplantes „Ring“-Experiment an der Berliner Staatsoper zu Ende. Christian Thielemann sprang für den erkrankten Daniel Barenboim ein, der sich die Aufführungsserie eigentlich zu seinem eigenen 80. Geburtstag hatte schenken wollen. Den Regisseur ebenso wie die Sänger hatte Barenboim engagiert. Thielemann nutzte die ihm gegebenen Ressourcen diskret wie ein Wanderer zwischen den Welten. Zu diesen Ressourcen gehörte natürlich auch die Berliner Staatskapelle, die sich an vier Abenden als vielseitiger Klangkörper zeigte. Vom leicht-heiteren „Rheingold“ über eine tieftraurige „Walküre“, den locker-präpotenten „Siegfried“ bis zur gesammelten, meistens ernsten „Götterdämmerung“.
Der Streicherchor, fest gefügt mit striktem Legato-Auftrag, erhielt am letzten Abend eine Schlüsselrolle. Das Blech durfte erst allmählich auftrumpfen, weniger mit lichtem Schein als düsterem Dröhnen und warnendem Knarzen. Daneben führte Thielemanns langsames Grundtempo zu einer Durchhörbarkeit des Figurenwerks, das zudem exakt gespielt wurde, nicht nur dem Sinn nach. Das betrifft vor allem die Streicher, aber auch die Holzbläser mischen sich manchmal in dieses Gewerbe ein und geben ihm Körper. Manches hat man nie so gehört – es sei denn bei Meyerbeer.
Daneben fiel insgesamt die große Sachlichkeit der Interpretation auf. Man möchte sagen, nichts sei hinzugefügt worden, was man als subjektive Deutung oder individuelle Emphase verstehen hätte können. Thielemann legt die Partitur quasi-objektiv dar, mehr noch als in Dresden, wo die dortige Staatskapelle einen wärmeren Klang bereitstellt. Gefühle waren aber auch in Berlin erlaubt.
Ein „Ring“ der inszenatorischen Augenblicksmomente
Zu Beginn des Prologs klopfen die drei Nornen bei Siegfried und Brünnhilde auf dem zur Großwohnung ausgebauten Walkürenfelsen an und verschaffen sich am Ende geisterhaft selbst Zutritt. Es sind freilich die Nornen in „super-alt“. Wohlartikuliert (Noa Beinart), dann schön fest in der Mitte (Kristina Stanek), schließlich mit heller Anklage (Anna Samuil) machten die drei Sängerinnen ein Meisterstück aus ihrer Szene, nachdem sie lange als Statistinnen in der Inszenierung umherwandern mussten.
Dann verabschiedet Brünnhilde ihren Gatten, der augenscheinlich zu einem normalen Arbeitstag aufbricht. Erst die Hände in den Hosentaschen, verabschiedet er sich schließlich mit einer kleinen Bauernpolka von der Hausfrau im Bademantel. Tcherniakov setzt alles daran, Handlung und Figuren gewöhnlich zu machen und jeden Impuls aus Musik oder Text, den er empfindet, in Gestik und Tanz umzusetzen. Vermutlich damit uns diese „Götterdämmerung“ nicht zu ernst wird. Seine Inszenierung wird darüber aber immer wieder zur Nummernrevue, zu einer Abfolge von Abziehbildern. Konsequent geformte Figuren können so nicht sinnlich erfahrbar werden.
In seiner Rheinfahrt, zu der Siegfried sich sinnend auf den schwarzen Bühnenboden legt, zeigt die Staatskapelle einen ganzen Strauß an Klangcharakteren, mit schön abgesetzten Hörnern und geschmetterten Fanfaren. Ab jetzt haben wir es szenisch wieder mit dem Forschungszentrum E.S.C.H.E. zu tun, das nun allerdings in Eisenzeit-Grau erscheint. Die Zeit der ‚Götter‘, so erfahren wir, ist vorüber. Die Gibichungen haben das Forschungszentrum besetzt, auch wenn sie es kaum benutzen. Das einzige Experiment wird von den Rheintöchtern durchgeführt – hier lugt noch einmal die Götterwelt durch.
Zu genau sollte man auch bei dieser Super-Erzählung wohl nicht auf Logik achten. Die ganze neu erfundene Welt im Kleinen mit mutmaßlichen Forschern und angeblichen Experimenten wurde ziemlich al fresco von Tcherniakov aufgemalt, wie um uns vergessen zu lassen, dass er eigentlich gar keine Superstruktur für seine Regie haben wollte. Verfolgte man die verschiedenen Bezüge und Verweise, landete man häufig genug im Nichts. Es geht rein um die Performanz im Augenblick. Man könnte von situationistischem Theater sprechen, wenn der Begriff nicht schon besetzt wäre.
Mika Kares, oder eine Wieder-Entdeckung in drei Rollen
Der I. Akt folgt im wesentlichen Wagners Handlung, nur eben mit den üblich gewordenen Anzügen und Sitzungsräumen als Hintergrund. Der Auftritt Siegfrieds fällt etwas zu früh aus und passt nicht zum gesungenen Text. Die Dialoge, die hier meist zwischen den drei Männern stattfinden, sind von guter Spannung. Der Blutsbrüderbund wird modernisiert und mit reiner Coolness besiegelt.
Mika Kares als Hagen ist, wie erwartet, erneut eine der Stützen des Abends, nachdem er zuvor einen elegant rechtenden Fasolt und einen brutal hundsgemeinen Hunding gab. Hier entfaltete er zudem erzählerisches Talent im Zusammenspiel mit der nicht minder epischen Staatskapelle. Sein Monolog im I. Akt bringt zum ersten Mal echte Schwere hervor, zuvor hatte Thielemann an den Blechakzenten gespart. Mandy Fredrich gab eine szenisch und vokal präsente Gutrune mit Charakter. Enthüllend inszeniert war ihr Reuemoment gegenüber Brünnhilde am Ende des Stücks, fast ein Kundry-Moment.
Anja Kampe konnte in ihrer dritten Brünnhilde-Rolle das lyrische Potential ihrer Stimme entfalten, während die Streicher ihr anfangs sehr, sehr nachdenklich folgten und darin an das Nachbarwerk „Parsifal“ erinnern. Die „Götterdämmerung“ wird uns so vor allem durch die Musik als gealterte, durch Zweifel und innere Kämpfe hinfällig gewordene Welt vorgeführt. Im II. Akt gab Kampe eine formidable Erinnye bei Hofe. Aber ihre dramatische Höhe war leider auch am dritten Abend meist entfärbt und unerfüllt, um von den höchsten, stets gepressten Spitzen zu schweigen. Das (?) rächte sich in der Mitte des Terzetts mit Gunther (immer tapferer: Lauri Vasar) und Hagen: Die Sängerin war gezwungen, zeitweilig in halbes Sprechen zu wechseln.
Violeta Urmana setzte als Waltraute ein wirkliches Ausrufezeichen an diesem Abend, mit einem Stil und Timbre, die an gute alte Zeiten erinnern. Die Staatskapelle sekundierte ihr mit schönem Samt und gedämpftem Blech. Dass diese Waltraute angesichts von Brünnhildes Liebesbekenntnis in ausdauerndes Gelächter ausbricht, mag man bedauern: „L’amour est mort“ klickerte es aus diesem Lachen. Von Charakterzeichnung wagt man daneben nicht zu sprechen, das blieb der Sängerin selbst überlassen. Aber das ist sicher nicht das Schlimmste, was passieren kann.
Meisterlich war dann die sich von neuem entflammende Lohe musiziert, die alles sogleich dicht einhüllte. Siegfrieds unverkleideter Auftritt auf dem Felsen hinterließ erwartbare Fragen beim Publikum. Ein veränderter Auftritt und Stimmcharakter mussten reichen. Warum erkannte ihn Brünnhilde nicht? Oder erkannte sie ihn, hielt ihn aber für so verändert, dass er Grauen auslöste? Für all das gab es keine Antworten in dieser atomisierten Personenführung der intensiven Momente.
Am Ende werden die Tore des Werdens geschlossen
Im III. Akt findet dann das letzte „Experiment“ dieser Fassung der Tetralogie statt: Die Rheintöchter fordern – stimmlich durchaus anmutig: Evelin Novak, Natalia Skrycka, Anna Lapkovskaja – den Ring zurück und sagen Siegfrieds Tod voraus. Dann geht es in eine Turnhalle, offenbar der moderne Ersatz für das mittelalterliche Ritual der Jagd. Siegfried wird mit einer Fahnenstange erschlagen. Gunther umarmt ihn innig dabei, bringt nur sein „Was tatest du?“ etwas unfokussiert hervor. Das ‚Wiedersehen‘ mit Brünnhilde im Geiste gestaltet Andreas Schager so intensiv-lebensvoll wie zart-jenseitig.
Die elegische Trauermusik bringt uns den passend choreographierten Auftritt der Rheintöchter, Nornen, Erdas und Wotans. Mit der aufgebahrten Leiche geht es zurück ins Forschungszentrum. Der Schlussmonolog war wiederum voller bis ins Detail durchhörbarer Figuren. Am Ende steht wieder die leere Bühne, auf der Brünnhilde noch einmal Erda begegnet. Den künstlichen Waldvogel, den Erda ihr überreichen will, weist sie zurück. Auch die Wotan-Antagonistin gehört ja zu der alten, verfallenden Welt. Die Hauptsache scheint aber die ablehnende Geste zu sein.
Projiziert liest man Worte aus einem alternativen Entwurf des Schlussmonologs, ganz im buddhistisch inspirierten Sinne Schopenhauers: „Trauernder Liebe / tiefstes Leiden / schloß die Augen mir auf: / enden sah ich die Welt.“ Des „ew’gen Werdens off’ne Tore“ will Brünnhilde demnach hinter sich schließen, mit anderen Worten ins Nirwana eingehen. Tcherniakov hat sich vier Abende lang bemüht, uns zu zeigen, dass sich diese Befreiung aus einer durch und durch kranken Welt lohnt. Es gibt folglich kaum Abschiedsschmerz, wenn eine einsame Brünnhilde auf leerer Bühne die Freiheit zelebriert. Großer Applaus am Ende von vier fordernden Abenden. Nur die Regie musste sich einem Buhsturm stellen. Einzelne Bravi für Tcherniakovs Team wurde von den Gegenrufen „Absetzen“ aufgewogen.
Kritik von Matthias Nikolaidis
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Götterdämmerung: Dritter Abend
Ort: Staatsoper Unter den Linden,
Werke von: Richard Wagner
Mitwirkende: Christian Thielemann (Dirigent), Staatskapelle Berlin (Orchester), Dmitri Tcherniakov (Regie), Anna Samuil (Solist Gesang), Mika Kares (Solist Gesang), Anja Kampe (Solist Gesang), Lauri Vasar (Solist Gesang), Violeta Urmana (Solist Gesang), Evelin Novak (Solist Gesang)
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