Paavo Järvi, © Kaupo Kikkas
Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich
Irdisch erhaben
Anton Bruckners (1825-1896) Achte Sinfonie in c-Moll gilt als Gipfel der spätromantischen Sinfonik, der nicht nur neue Klangwelten erschließt, sondern auch auf erhabene Weise ins Transzendente vorstößt. Dass sich diese Erhabenheit auch im Irdischen oder über das Irdische erreichen lässt, zeigte das Tonhalle-Orchester Zürich unter Paavo Järvi im Großen Saal der Elbphilharmonie. Lag es am südlich alpinen Klang des Traditionsorchesters aus der Schweiz, der bisweilen Erinnerungen an Luchino Viscontis „Sehnsucht“ weckte, oder am im besten Sinne zügellosen Tutti-Poltern im Scherzo, das hier eindeutig auf Bruckners Schüler Gustav Mahler voraus wies? Jedenfalls weckte diese Achte dank Paavo Järvis expressiv flexibler Gestaltung nicht nur Assoziationen an die Gestade einer fernen Welt, wie im ausladenden Adagio, sondern auch an die Alm oder ans Wirtshaus. So testete man nicht nur auf dem Höhepunkt des Adagios mit Beckenschlag und Triangel die akustischen Grenzen der Elbphilharmonie aus, sondern auch schon im Kopfsatz. Wie dort die thematischen Elemente wuchtig aufeinander krachten und sich das herrlich golden glänzende Blech an den siedend heißen Streichern rieb, hatte schon einiges vom genialen Dorfschullehrer. Überhaupt zeigte das Tonhalle-Orchester, dass ein packender Bruckner nicht zwangsläufig aus Wien, München, Dresden oder Berlin kommen muss, sondern auch am Zürichsee zu Hause ist. Dies vor allem, wenn ein Gestalter im Sinne der Musik am Pult steht, wie eben Paavo Järvi. Järvis musikhistorischer Bereich mag sich zwar von Haydn bis in die Gegenwart erstrecken, Interpretationen wie diese rücken ihn bei Bruckner jedoch ganz nach vorne in die erste Riege. Durch das vergleichsweise rasche Tempo drängte diese c-Moll-Sinfonie ebenfalls jederzeit nach vorne, so tickte die „Totenuhr“ im Kopfsatz zügig, und die ersten beiden Sätze folgten attacca aufeinander. Järvis organische Agogik bot jedoch viel Spielraum zum Auskosten und Innehalten sowie zum Ausbalancieren der formalen Blöcke in ein packendes dramatisches Gesamtbild, was vor allem im Adagio und im Finale von großem Vorteil war. Zudem ließ er nicht nur das Blech, sondern auch das gesamte Orchester ordentlich Feuer geben. Ungewohnte Details wie die Violin-Soli im Adagio, die sonst der Gruppe zufallen, konnten für sich einnehmen. Kein Wunder also, dass am Ende der Jubel groß war.
Wie im Sinne einer Introduktion erklang ganz zu Beginn Arvo Pärts „Cantus in memoriam Benjamin Britten“, den die Zürcher Streicher hier flüsternd begannen, um ganz im Stile einer brucknerschen Steigerungswelle die Lautstärke dann immer weiter hochzufahren, bis der spirituelle Klangraum sich bis auf den gesamten Saal erstreckte, um der Achten eindrucksvoll den Boden zu bereiten.
Kritik von Dr. Aron Sayed
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Tonhalle-Orchester Zürich : Paavo Järvi
Ort: Elbphilharmonie,
Werke von: Anton Bruckner, Arvo Pärt
Mitwirkende: Paavo Järvi (Dirigent), Tonhalle Orchester Zürich (Orchester)
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