> > > > > 18.03.2023
Sonntag, 4. Juni 2023

Il trittico - Szene aus "Gianni Schicchi", Copyright: Brinkhoff/Mögenburg

Il trittico - Szene aus "Gianni Schicchi", © Brinkhoff/Mögenburg

Puccinis "Il trittico" an der Staatsoper Hamburg

Der Schein des Lebens

Die Inszenierungen des Regisseurs Axel Ranisch bieten immer Anlass zu kontroversen Stellungnahmen. Warum sollte das bei seiner Sicht auf Puccinis „Il trittico“, die jetzt an der Staatsoper in Hamburg über die Bühne ging, anders sein. Dabei beschränkt sich der Anstoß nicht nur auf die Premiere, wie das zumeist üblich ist. Auch die nachfolgenden Aufführungen lassen erkennen, dass Ranischs Aneignung dieses Stückes, das erst in den letzten Jahren in seiner Gesamtheit zunehmend an Popularität gewinnt, von Teilen des Publikums als problematisch erkannt wird. Das sollte man eigentlich als gutes Zeichen werten, denn es zeigt doch, dass die Oper - zumindest in Hamburg - lebt. 

Womit stört also Axel Ranisch das kulinarische Opernvergnügen? Der vokale und orchestrale Aspekt kann es nicht sein, da ist die Staatsoper bis in die kleinste Rolle hinein hervorragend aufgestellt. Die Solisten und der Chor sind fantastisch, das Orchester musiziert unter Leonardo Sini auf höchstem Niveau. Aber: Ranisch hat die Opern sozusagen vom Kopf auf die Beine gestellt und die ursprüngliche Reihenfolge der drei Kurzopern umgestellt.

Ranisch beginnt mit der Erbschleicherkomödie „Gianni Schicchi“, der das sozialkritische Eifersuchtsdrama „Il tabarro" folgt und schließt in einer Apotheose mit „Suor Angelica“. Damit das Ganze nicht zum Kitsch verkommt, wie oft bei Puccini-Inszenierungen, wird auf einer Metaebene das Leben einer fiktiven Schauspielerin Chiara de Tanti, die sich mit 43 Jahren das Leben nahm, erzählt. Aus der Perspektive dieser Rahmenhandlung sind die ersten zwei Kurzopern Filme, die die künstlerischen Stationen von Chiara de Tanti darstellen. Sie werden zwar live auf der Bühne gespielt, doch werden jeweils Videos vorangestellt, in denen sich Kollegen an sie erinnern. „Suor angelica“ beginnt mit der Vorbereitung des Films, der nicht realisiert werden kann, weil die Hauptdarstellerin darüber stirbt. 

Diese Vermischung der Ebenen regt natürlich zur Reflexion an und erinnert unter vielen Aspekten an Bertolt Brechts Konzeption des epischen Theaters. Axel Ranisch überhöht die Oper nicht in die „höheren“ Sphären des Regietheaters, aber er deckt komplexe Zusammenhänge der drei Opern auf, die oft im Belcanto versickern. Die unmittelbare Direktheit der Darstellung, die von Innenräumen, von Selbstfindung, Verstrickung, Verdrängung des Schuldbewusstseins und tödlichem Verfolgungswahn handelt, fesselt. Dadurch, dass „reale“ prominente Schauspieler auftreten, die oft abendlich im persönlichen Wohnzimmer auftreten, bekommt diese Inszenierung einen unerwarteten Wirklichkeitsbezug. Das reizt die Sinne, erzwingt Anteilnahme, erschließt sich intuitiv. Gleichzeitig kratzt Axel Ranisch an der üblichen Zeichnung von Mann und Frau. Bürgerliche Frauen werden gerne auf bestimmte stereotype Verhaltensweisen beschränkt, von denen die Liebe zum Mann sowie die passive Unterordnung die wichtigsten waren. Der Mann, als eher emotionaler Muffel, erhielt häufige Möglichkeiten, die Welt zu erkunden, sich in ihr zu entwickeln und auszuleben, die Frau bekam einen auf das Private bezogenen Lebensraum. All das gilt so nicht in dieser Oper von Puccini, was oft übersehen wird. Dann ist man auch oft mit dem Vorwurf Kitsch konfrontiert, der in der Sichtweise von Ranisch ad absurdum geführt wird. Um im Bild von Triptychon zu bleiben. Im Mittelpunkt steht bei Ranisch das Sozialdrama, flankiert von der Erbschleicherkomödie und einer scheinheiligen christlichen Apotheose. Dass dies überzeugt, resultiert aus der visuellen Fantasie des Regisseurs und der Präzision in der Darstellung. Ranisch liefert eine Interpretation, deren plausible Konsequenz sich mit einem erstaunlich klar strukturierten Ablauf, mit überwältigtem handwerklichem Standard und mit einer musikalischen Interpretation durch Leonardo Sini verbindet, die ohne Abstriche überzeugt.

In der Tat hat diese Hamburger Inszenierung von „Il trittico“ mit den üblichen Produktionen wenig gemein. Sie präsentiert sich wie eine Ausgrabung aus dem verstaubten Opernrepertoire. Die kammerspielartigen Dimensionen der einzelnen Kurzopern, die auch in der Enge der gleichwohl transparent gehaltenen Bühnenräume von Falko Herold auf faszinierende Weise eingefangen wird, überzeugte, wie auch die Kostüme von Alfred Mayerhofer, womit stellenweise übergreifende Bezüge zart angedeutet wurden. 

Das Clowneske der eigentlich erschütternden Erbschleicherkomödie „Gianni Schicchi“, wird aufgehoben, indem man im oberen Bereich der Bühne die Garderobe sieht, wo die auftretenden Personen für die Handlung unten auf der „Bühne“ zurechtgemacht werden. Absurd diese Szene, in der ein Mensch gestorben ist, der im Bettkasten versteckt wird, scheinbar noch lebt, aber nicht leben darf, weil es um die Erbschaft geht, die einem verlobten Paar die Heirat ermöglicht. Die Zeit drängt, denn die Braut ist schwanger. Der Gott des Geldes regiert. Alles hängt vom Ableben eines Menschen ab, der geopfert wird. Bedrückend geht es dann bei „Il tabarro“ zu. Die Menschen sind ihrer Menschenwürde beraubt, ihre Lebenssituation ist aussichtslos. 

„Suor Angelica“ handelt von Innenräumen, von Selbstfindung, Verstrickung, Verdrängung des Schuldbewusstseins und dem tödlichen Verfolgungswahn einer Mutter, die von der Gesellschaft ausgestoßen wurde, in einem Kloster ihr Leben fristet und, als sie erfährt, dass ihr Sohn schon seit langem tot ist, sich selbst tötet. Aber auch das ist keine Lösung, denn sterbend bemerkt sie, dass Selbstmord eine Todsünde ist.

So ausufernd Ranischs Ideenwelt auch ist, entscheidend ist aber letztendlich die Anlage der drei Opern selbst und die in ihr herrschende Musikdramaturgie. Sie hatte in Leonardo Sini einen vorzüglichen Anwalt. Mit einem subtilen Sinn für die klanglichen und polyphonen Dimensionen führte er das philharmonische Staatsorchester überzeugend durch die komplexe Partitur. Die Wahrheit spricht alleine und unbedingt aus der Musik: Leonardo Sini lässt es aus dem Graben leuchten. Beschwört die echten Stimmungen und Gefühle der Figuren. Perfekt hält er die Klangbalance zwischen Orchester und den auch in den Nebenpartien ausgezeichnet singenden Solisten. Große Spiel- und Sangesfreude bewies Roberto Frontali als betrügerisches Schlitzohr Gianni Schicchi und als eifersüchtiger Ehemann Michele. 

Elena Gusevas Interpretation von Giorgetta und vor allem von Suor Angelica sind eindrucksvoll und hinreißend. Sie verfügt über eine wundervolle Stimme, mit dunkler Mittellage und einer strahlenden Höhe mit einer filigranen Vielfalt hinsichtlich der dynamischen Behandlung. Überzeugend bezaubernd, wie sie die hohen Spitzentöne im Pianissimo am Ende der „Senza mamma - Arie“ als Sprungbrett für die folgenden Erregungen angesichts der Aussichtslosigkeit ihres Daseins nutzt.

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Kritik von Michael Pitz-Grewenig

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