> > > > > 28.05.2023
Samstag, 23. September 2023

1 / 2 >

Randall Scotting (Adone) und Layla Claire (Venere), Copyright: Brinkhoff/Mögenburg

Randall Scotting (Adone) und Layla Claire (Venere), © Brinkhoff/Mögenburg

Uraufführung von Salvatore Sciarrinos „Venere e Adone“ an der Staatsoper Hamburg

Meister der Zeitlosigkeit

Von was handelt dieses neue Werk? „Schiffsbruch eines Mythos“ – „Naufragio di un mito“ nennt Salvatore Sciarrino hintersinnig seine 18. Komposition für Musiktheater, wohl wissend, dass es ein Kennzeichen des Mythos ist, dass es hier keine Logik gibt. Im Mittelpunkt steht der schöne menschliche Adonis, dem seine Liebe zu Venus zum Verhängnis wird. Venus und Mars, die Amor zeugten. Amor, der den betrogenen Vater rächen soll. 

Im Mythos bricht Adonis nach rauschender Liebesnacht zur Jagd auf und wird von einem Eber zerfleischt. Aus seinem Blut lässt Venus eine Blume sprießen. Bei Salvatore Sciarrino versucht Adonis den Eber erfolglos mit Pfeilen zu töten. Amor hat ihm aber unbemerkt einen Liebespfeil untergeschoben. Als der trifft, entbrennt der Eber in Liebe zu Adonis, will Adonis küssen, besitzen, kann aber nicht sein Wesen ablegen und zerreißt ihn. Das Ungeheuer kennt eben keine Zuneigung, keine Liebe, aber auch keinen Hass. Am Ende steht Adonis vor den Resten seines Körpers und hat sich in das Ungeheuer verwandelt. Venus erkennt ihn natürlich nicht und verwandelt die Überreste von Adonis in Anemonenblätter. Die uralte Geschichte windet sich durch das Dickicht mythologischer Verflechtungen. Auch bei diesem Werk kann die Frage, wer den Sieg davonträgt, die Liebe oder der Tod, nicht beantwortet werden.

Geisterhaft treten drei Gestalten aus der Dunkelheit hervor. Vorsichtig kommt eine Mutter mit ihren Töchtern in Schwarz-Weiß auf einen zu. An einer unsichtbaren Grenze angekommen, tritt zuerst die Mutter durch einen zarten Wasserfall und erscheint plötzlich in Farbe als fleischgewordene Person. Die ältere Tochter folgt, im nächsten Moment die jüngere. 

Sciarrinos Musik liegt an der Grenze zur Stille. Sie zwingt zum Zuhören. Generalmusikdirektor Kent Nagano dirigiert diese subtile Musik, die wie eine Chaconne ständig um sich kreist und die sich oft am Rande der Wahrnehmung befindet, mit feinen Nuancen. Das in Klang umzusetzen ist keine leichte Aufgabe. Die Sopranistin Layla Claire (Venere) und der Countertenor Randall Scotting (Adone) sowie Evan Hughes als Ungeheuer bewältigen die ungeheuren Anfordungen, die diese Musik an die Sänger stellt, mit Bravour. Sie gestalten mit großer Intensität und kristallisieren aus dem Klanggewebe von Sciarrinos Musik subtil die melodischen Qualitäten heraus. Auch das übrige Solistenensemble wie auch der Chor überzeugen ohne Abstriche.

Dass dieses Zeitlupenspektakel über das Musikalische höchst spannend wird, liegt auch an der zarten theatralischen Umsetzung. Intendant Georges Delnon, der auch Regie führte, hat mit seiner Bühnenbildnerin Varvara Timofeeva und Marie-Thérèse (Kostüme) eine poetische Bühne konzipiert, dessen Ästhetik vom US-amerikanischen Video- und Installationskünstler Bill Viola inspiriert zu sein scheint. 

Ein schlichter, nicht sehr großer Raum in Beigetönen, der an ein aufgeschlagenes Buch mit leeren Seiten erinnert. Auf einen Gazevorhang werden immer wieder Videos projiziert, die das Bühnenpersonal immer wieder zu einem homogenen Gefüge formen. Die Videos von (Marcus Richardt) können als mystische und poetische Metapher für das Leben gelesen werden – und auch für das unbegreifliche Phänomen Zeit. Was folgt auf das Leben, ist Geburt immer Anfang, Tod immer Ende? Salvatore Sciarrino hebelt in seinen Werken nicht nur Zeit per se aus ihren Fugen, sondern hinterfragt Linearitäten. Kann unser Dasein auch zyklisch verstanden werden? Musik wie Regie geben keine konkreten Antworten, dehnen gewissermaßen die Zeit, lassen viel Raum zum Nachdenken. 

Am Ende verdienter rauschender Beifall für eine vorzügliche und mutige Inszenierung.

Mehr erfahren über den Autor

Kritik von Michael Pitz-Grewenig

Kontakt aufnehmen mit dem Autor

Kontakt zur Redaktion

Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel.

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.


Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (3/2023) herunterladen (4400 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Henri Bertini: Nonetto op.107 in D major - La Melancolie - Lento con tranquilezza

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Sponsored Links

Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich