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Grigorij Sokolov, © Klaus Rudolph/Deutsche Grammophon
Grigory Sokolov im Wiener Konzerthaus
Tastenzauber
Ursprünglich hätte Grigory Sokolov dieses Recital Anfang Dezember vergangenen Jahres im Wiener Konzerthaus spielen sollen, pandemiebedingt wurde es jetzt nachgeholt. Vor Beginn des Konzerts tritt Intendant Matthias Naske vor das Publikum und verkündet nicht wie in den meisten derartigen Fällen schlechte, sondern gute Nachrichten: Im Rahmen der „Woche der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine“ verzichtet Sokolov auf seine gesamte Gage, um sie der Konzerthaus-Initiative zu spenden. Sokolovs Auftritt im bis aufs bestuhlte Podium gefüllten Großen Saal kündigt er als geballte "künstlerische Exzellenz" an – die folgenden 2 ½ Stunden zeigen, warum.
Eigene Vorstellungen
"Prometheus-Variationen“ müssten Beethovens "Eroica-Variationen“ op. 35 eigentlich heißen, findet Igor Levit. Tatsächlich hat das zu Grunde liegende Motiv seinen Ursprung nicht im berühmten Satz aus der gleichnamigen Symphonie, sondern in der Ballettmusik zu "Die Geschöpfe des Prometheus". Genau genommen taucht es sogar noch früher in einem der „Contretänze“ WoO 14 auf. Schon in der Introduktion unterstreicht Sokolov, dass er seine ganz eigenen pianistischen Vorstellungen hat. Die brechen mit gewohnten Interpretationsansätzen oft radikal, auffallend sind hier von Anfang an verhältnismäßig langsame Tempi. Diese haben allerdings nichts damit zu tun, dass Sokolov technisch überfordert wäre. Vielmehr verleiht er damit dem Thema besonders charismatischen Nachdruck. Auf klangliche Merkmale und akribische Stimmführung legt er den Fokus, da klingen dann Passagen schon einmal mehr nach Bach oder Rameau als nach Beethoven. Dafür hört man Stimmen, von denen man bis dahin nicht einmal wusste, dass sie da sind. Das kann zwar im ersten Moment gewöhnungsbedürftig sein, ergibt im Kontext dann aber doch musikalischen Sinn. Polyphone Texturen, wie in der Variation Nr. 7 oder der Schlussfuge, sind von gestochen scharfer Klarheit, wie man sie sonst kaum findet. Grenzbereiche in Artikulation und Dynamik sind für Sokolov kein Tabu, Beethoven'sches Pathos nimmt kein Blatt vor den Mund, gezackte Vorschläge haben grimmigen Biss. Auch in vollgriffigen Dimensionen bleibt Sokolovs Spiel die Transparenz selbst. Massiver dynamischer Wucht stehen unvergleichlich weiche, runde Basstöne gegenüber, die Ornamentik der 15. Variation („Largo“) leuchtet ebenso hell wie Sokolovs kristallklare Oberstimme.
Einzigartig vielgestaltig
Nach derlei neuen Blickwinkeln auf Beethoven hat man bei Brahms' Intermezzi op. 117 auf Anhieb das Gefühl, alles könne musikalisch gar nicht anders sein. Die ersten Töne des Es-Dur-Intermezzos („Andante moderato“) verströmen eine gesangliche Wärme, die einen alle drei Stücke hindurch nicht mehr loslässt und die derzeit außer Arcadi Volodos wohl kein Pianist aus dem Steinway zaubern kann. Sokolovs in Watte gepacktes Pianissimo-Timbre ist jedes Mal aufs Neue so atemberaubend wie sein traumwandlerisch sicheres Gespür für den Aufbau von Spannungen.
Dass Sokolovs Interpretationen einander nie gleichen, kann man in Schumanns „Kreisleriana“ op. 16 erleben. Teils grundlegend andere Tempi hatte er hier z.B. bei seinem Auftritt im Genfer Palais der Nationen Ende vergangenen Jahres gewählt – konstant fesselnd bleibt seine Darstellung der romantisch aufgewühlten Seelenzustände, für die E.T.A. Hoffmanns literarische Figur des exzentrischen Kapellmeisters Kreisler Pate stand. Auch hier mag es Kollegen geben, die hier und da schneller spielen – musikalisch deswegen aber nicht überzeugender. Etwas träge wirkt lediglich der zweite Gedanke im fünften Abschnitt („Sehr lebhaft“). Das geisterhaft tänzelnde Staccato-Thema der letzten Episode lässt Sokolov in agogisch verschiedener Gestalt erscheinen und vergrößert so die atmosphärische Dichte zusätzlich. Mehr emotionale Leidenschaft und Intensität als im Mittelteil („Mit aller Kraft“) geht nicht!
In seiner berühmten „dritten Halbzeit“ beschenkt Sokolov das Publikum mit sechs Zugaben: Chopins h-Moll-Mazurka op. 30/2, drei Préludes aus Rachmaninoffs Opus 23, Skrjabins Prélude e-Moll op. 11/4 und der Bach/Busoni-Transkription von „Ich ruf´ zu Dir, Herr Jesu Christ“ BWV 639. Wie immer magischer Tastenzauber, wie immer stehende Ovationen.
Kritik von Thomas Gehrig
Kontakt zur Redaktion
Grigory Sokolov: Klavierabend
Ort: Konzerthaus,
Werke von: Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Robert Schumann
Mitwirkende: Grigorij Sokolov (Solist Instr.)
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