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Yuja Wang, BRSO, Antonio Pappano, © Astrid Ackermann
Das BRSO und Yuja Wang in der Isarphilharmonie
Klangliches Einfühlungsvermögen
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kann endlich wieder „mit voller Kapelle“ auftreten. Pandemiebedingt hatte der Spielbetrieb zuletzt unterbrochen bzw. auf kammermusikalische Formationen reduziert werden müssen. Yuja Wang ist in dieser Woche für drei Konzerte als Solistin zu Gast, am Pult steht Antonio Pappano.
Zu Beginn auf dem Programm Antonin Dvořáks Konzertouvertüre „Othello“. Bei diesem literarischen Stoff denkt man zunächst eher an Verdi. Dabei hatte sich Dvořák zunächst gar nicht auf Shakespeares Drama beziehen wollen, erst nachträglich stellte er den inhaltlichen Bezug her. Als Trias zusammen mit zwei weiteren Ouvertüren war das Stück ursprünglich konzipiert, uraufgeführt wurden tatsächlich noch alle drei gemeinsam. Dvořák selbst betonte jedoch die mögliche Eigenständigkeit aller drei Teile. In zwei Abschnitte ist das Werk gegliedert, in der Einleitung (Lento) vereinnahmen schwelgerische Streicher und weich angesetztes Blech. Der Hauptteil (Allegro con brio) durchlebt ein Wechselbad der Gefühle zwischen bedrohlich düsteren, dann wieder lyrisch aufgehellten Passagen. Pappano zeichnet eine stringente dramaturgische Fieberkurve bis hin zu den perkussiv unerbittlich hereinbrechenden schicksalhaften Momenten. Klar herausgearbeitet wird das (alle drei Ouvertüren verbindende) „Natur-Motiv“. Die klangfarblich exquisite Darstellung des BRSO hat klare Blech-Ecken und -kanten, für instrumentalen Feinschliff steht die leuchtende Flötenstimme von Philippe Boucly.
Technisch überlegen
Überaus prominent besetzt war die Uraufführung von Liszts Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur, der Komponist selbst saß am Flügel, Hector Berlioz dirigierte. Genau das Richtige für Supertechnikerin Yuja Wang, zu Unrecht wird sie leider oft immer noch auf dieses Attribut oder ihr Outfit reduziert. Die Sonnenbrille, die sie derzeit auch während des Konzerts trägt, ist übrigens kein neues modisches Accessoire, sondern ärztlich verordnete Maßnahme nach einem operativen Eingriff. Ihre technische Überlegenheit kann sie im vollgriffigen, klanglich sauber getrennten Oktav- und Akkordgewitter voll ausspielen. Das ist echtes, von Liszt gefordertes „Marcato e deciso“. Mit virtuoser Brillanz allein ist es hier aber längst nicht getan. Schon beim zweiten Thema verlangt Liszt viel klangliches Einfühlungsvermögen – Yuja Wang hat es. Nicht nur diesem Abschnitt verleiht sie expressive Wärme, auch die kammermusikalisch intim geführten Dialoge mit Klarinette oder Solo-Violine gelingen hervorragend. Ihre glasklar geführte Oberstimme artikuliert präzise. Pappano versteht es, dem Orchesterpart ein nicht nur begleitendes, sondern eigenständiges Profil mit scharfen Blechkonturen zu verleihen. Die charakteristischen Triangel-Impulse des Schlusssatzes sind filigran gesetzt, Wang glänzt nochmals mit raschen Repetitionen und spielfreudig tänzelnden Figuren. Noch funkensprühender hat das höchstens einst György Cziffra gespielt. Einzig der langgezogene Triller könnte ein wenig schattierter sein. Etwas hart bleibt Wangs Anschlag in der Zugabe, Mendelssohns „Lied ohne Worte“ op. 67/2. Feingliedrige Eleganz mit einem Schuss Melancholie hat ihr Spiel trotzdem.
Perfekte Proportionen
Einer der eher seltenen Fälle, in denen der Beiname („Das Unauslöschliche“) auf den Komponisten selbst zurückgeht, ist Carl Nielsens Symphonie Nr. 4 op. 29. Explizite Programmmusik solle ihm selbst zufolge darin zwar nicht gesehen werden, dennoch erscheine sie nach außen hin als solche. Den radikalen Strömungen der Avantgarde hat Nielsen sich nie wirklich angeschlossen, moderne Züge trägt sein Kompositionsstil dennoch, vor Dissonanzen scheut er nicht zurück. Auch einem formal hergebrachten Schema folgt Nielsen kaum noch. Pappano versteht es, in diese zerklüfteten Strukturen Ordnung zu bringen, lässt Stimmen auch im komplexen Kontext klar hervortreten. Die schroffen, oftmals abrupten Gegensätze in Nielsens Musik stellt er eindringlich dar. Wuchtige Dynamik steht da schon einmal unmittelbar neben instrumental ausgedünnter Konversation, u.a. im Kopfsatz meisterhaft vorgetragen von Solocello und Klarinetten. Üppige Holzbläserfarben lässt Pappano prachtvoll aufblühen, lupenreine Intonation über gestochen scharfen Fagott-Linien zeichnet die Musiker des BRSO aus. Perfekte Proportionen hat auch das Bläserquartett zu Beginn des zweiten Satzes, Pizzicato-Akzente und kontrapunktische Elemente besitzen hohe Genauigkeit. Buchstäbliche Höhen und Tiefen durchschreitet der dritte Satz – das Abbild des Lebens mit all seinen Wechselhaftigkeiten, um das es Nielsen nach eigener Aussage in dem Werk geht. Pappano leuchtet diese Befindlichkeiten mit dezidierter Gestaltungskraft aus, die Akustik der Isarphilharmonie kommt ihm dabei zu Hilfe. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal in der Musikgeschichte hat der Schlusssatz mit seinem spektakulären Pauken-Duell, mit großformatiger Geste steuert Pappano auf die finale Apotheose zu.
Kritik von Thomas Gehrig
Kontakt zur Redaktion
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: Pappano/Wang
Ort: Isar-Philharmonie,
Werke von: Antonín Dvorák, Franz Liszt, Carl August Nielsen
Mitwirkende: Antonio Pappano (Dirigent), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (Orchester), Yuja Wang (Solist Instr.)
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