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Dienstag, 28. November 2023

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Bruno de Sá, Hyona Kim, Copyright: Björn Hickmann

Bruno de Sá, Hyona Kim, © Björn Hickmann

Sehnsucht an der Oper Dortmund

Gender und barocke Klänge

Oktober 2021. Die Impfwerte steigen. Theater, Konzerte und Opernhäuser öffnen wieder, starten in die neue Saison. Ob getestet, geimpft oder genesen, jeder ist willkommen. Am ersten Herbstferien-Wochenende feiert die Oper Dortmund die Premiere „Sehnsucht. Ein barockes Pasticcio“. Ein aktuelles Genderthema verpackt in eine Zusammenstellung kurzer, barocker Arien von Händel, Broschi, Purcell, Korpora und Monteverdi. Es ist eine Premiere mit effektvollen, differenziert und anschaulich die Affekte gestaltenden Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung Philipp Armbrusters und internationaler Starbesetzung. Bruno de Sá sang die Rolle des jungen, sich nach Freiheit sehnenden Protagonisten. Und doch fand die Aufführung in ungewöhnlicher, eher an kurz vor dem Lockdown 2020 erinnernder Atmosphäre statt. Wie kann es sein, dass der Zuschauerraum des großen Opernhauses beinahe leer war?

Bruno de Sá ist weder Altus noch Countertenor sondern Sopranist. Ein junger, männlicher Sopran. Eine besondere Stimmfarbe, die vor allem in den Arien von Riccardo Broschi („Son qual nave ch’agitata“ aus „Artaserse“) und Nicola Pòrpora („In braccio a mille furie“ aus „Semiramide riconosciuta“) zur Geltung kam. Er verkörpert hier einen Jungen, der sich kraftvoll, in aufsteigenden Koloraturen und stehenden, langen Tremoli in die Zukunft träumt, der den einsamen Goldfisch im Glas liebt und mit den größenwahnsinnigen Geschenken seines Vaters überfordert ist. Wie es sich anfühlt, wenn man nicht dazugehört, spiegelt später die Sterbearie von Nicola Pòrpora. Eindrücklich gestaltet de Sá hier die Zerbrechlichkeit der Seele auf einem nicht enden wollenden Melodiestrom während die Musik vom Puls des langsam schlagenden Herzens getragen ist. Countertenor David DQ Lee ist sein erwachsen gewordenes, unglückliches und Drogen süchtiges Alter Ego, während Sooyeon Lee koloraturreich, mit sprechender und beweglicher Leichtigkeit und mühelosen Höhen die verstoßene Geliebte darstellt. Denis Velev verkörpert mit schillerndem Furor den Vater, der den Helden vom Wahnsinn befreien will, Hyona Kim eine rachsüchtige Mutter. 

Eine gute Idee war es, die ansonsten ohne verbindende Elemente aneinandergereihten Arien mit einem kurzen Instrumentalsatz von Alfred Schnittke einzuleiten. Anschaulich führt die Musik hier die tonale Verfremdung barocker Klangsprache vor Augen. 

Hingegen fand ich die Bilder und Rahmenhandlung des Regisseurs Andreas Rosar zu oberflächlich und vorhersehbar für solch erschütternde, menschliche Sinnkrisen. Da nützen auch die fantasievolle Künstlichkeit ausstrahlenden Kostüme und die lautlos sich bewegenden und neue Räume offenbarenden Bühnenebenen wenig. Barockes Operntheater sollte sich an der künstlerisch komplexen Idee des Gesamtkunstwerks orientieren und verlangt neben geistvollen Bildern, Bewegung und Abwechslung vor allem auch das Element der Überraschung.

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Kritik von Ursula Decker-Bönniger

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Sehnsucht: Ein barockes Pasticcio

Ort: Theater / Opernhaus,

Werke von: Georg Friedrich Händel, Claudio Monteverdi, Henry Purcell, Riccardo Broschi, Nicola Porpora, Alfred Schnittke

Mitwirkende: Philipp Armbruster (Dirigent), Dortmunder Philharmoniker (Orchester), David Lee (Solist Gesang)

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