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Renée Fleming, © Scenario Two
Alan Gilbert dirigiert Bruckner
Von ewigem Licht erfüllt
Die Elbphilharmonie in Zeiten von Corona: Dirigent Alan Gilbert begrüßt den Konzertmeister Stefan Wagner mit einem Fistbump. Alle Musiker betreten die Bühne mit Maske, um sie dann abzulegen, das Publikum behält sie (noch) auf. Auch Renée Fleming legt die Maske ab, hält jedoch den Sicherheitsabstand zum Dirigenten bei, indem sie sich hinter den Bratschen aufstellt. Das mit dem Abstand war nur ein Scherz, galt die Positionierung doch der Entfaltung von Flemings nach wie vor flexibel aufblühender Stimme, und zwar in Olivier Messiaens (1908-1992) selten zu hörendem Klavierliederzyklus „Poèmes pour Mi“ in der Orchesterfassung des Komponisten von1937. Diese ist so differenziert ausinstrumentiert, dass man zum einen nie denken würde, es handele sich um eine Bearbeitung. Zum anderen zeigt die vorwiegend auf helle Farben gestützte, rhythmisch bewusst schwebende Klangästhetik, wie stark der vermeintliche ‚Modernist‘ Messiaen doch noch im Impressionismus wurzelt, kühne Harmonik hin oder her. Auch wenn Flemings Sopran hier die Hauptrolle zukam, wurde ihre Stimme kontinuierlich vor allem von den Holzbläsern (Flöten) umschmeichelt und fungierte über weite Strecken als prima inter pares ins Orchestergewebe dicht eingebettet. Ganz so plastisch und präsent wie man es sich vielleicht gewünscht hätte, kam Flemings Organ dabei nicht daher, allerdings war dies wohl auch gar nicht so intendiert, da die neun Poèmes für Messiaens erste Frau Claire Delbos wie gesagt umfangreich orchestriert sind.
In eine ganz andere Welt führte nach der Pause Anton Bruckners (1824-1896) Vierte Sinfonie in Es-Dur in der zweiten Fassung von 1878/80. Alan Gilbert setzte sein in der Siebten Sinfonie begonnenes Konzept maximaler Transparenz auch in der „Romantischen“ fort, mit überraschenden, rundum einnehmenden Ergebnissen, sodass der gebürtige New Yorker das gewaltige Vermächtnis eines Tennstedt, Wand oder Blomstedt schon jetzt nicht mehr zu fürchten braucht. Wie ein Soundmeister schraubte der Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters haargenau an der Balance des Klangkörpers, sodass in der gnadenlos klaren Akustik des großen Saales ein ums andere Mal Details zum Vorschein kamen, die man bislang selbst auf CD so kaum gehört haben dürfte. Ob Holzbläserfarben im Trio des Scherzos, Frage- und Antwortspiele oder Echoeffekte in den verschiedenen Orchestergruppen oder der allgegenwärtige Kontrapunkt – dieser Bruckner klang nicht annähernd so simpel, dass er sich auf Kathedralenmetaphern oder Wellenformen beschränken ließe und bereitete wiederholt Gänsehaut. Sicher, die vielen Steigerungen wurden aufs Feinste abgestuft und der Blechbläserchor durfte auch einmal drauflos donnern, doch bei diesem Brucker kamen auch die Ironie und der Humor nie zu kurz. Mit der Sicherheit einer Mahler-Koryphäe stellte Gilbert immer wieder dazwischenfahrende, bewusst ‚schiefe‘ Figuren heraus oder ließ die Streicher mit ‚Augenzwinkern‘ phrasieren. Ob es auch Absicht war, dass die Streicher nach der fantastisch sorgfältig aufgebauten Final-Coda eine halbe Sekunde zu spät ins Ziel kamen? So oder so darf man auf den nächsten Bruckner unter Gilbert bereits jetzt gespannt sein.
Kritik von Dr. Aron Sayed
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Fleming, Bruckner: NDR Elbphilharmonie Orchester
Ort: Elbphilharmonie,
Werke von: Olivier Messiaen, Anton Bruckner
Mitwirkende: Alan Gilbert (Dirigent), NDR Elbphilharmonie Orchester (Orchester), Renée Fleming (Solist Gesang)
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