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Eröffnung der Isarphilharmonie München, © Robert Haas
Eröffnung der Isarphilharmonie München
Neue Dimensionen
Am Freitagabend war es soweit: Nach der sanierungsbedingten Schießung des Münchner Gasteig wurde die als Interimsspielstätte fungierende Isarphilharmonie im neuen, kurz „HP8“ genannten Kulturquartier feierlich eröffnet. Max Wagner, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft und Oberbürgermeister Dieter Reiter würdigen in kurzen Ansprachen die Bedeutung des Ereignisses für die Stadt und verweisen nicht ohne berechtigten Stolz auf die vergleichsweise kurze und termingerechte Bauzeit. Die Namen von Projekten, bei denen es auch ganz anders laufen kann, braucht an dieser Stelle niemand zu nennen. Bevor die Münchner Philharmoniker unter Chefdirigent Valery Gergiev die ersten Noten im neuen „Zuhause“ spielen, kann man im vollbesetzten Saal zudem konstatieren: Das optische Design ist gelungen, das rundum dunkle Ambiente mit Ausnahme der in hellen Tönen gehaltenen Bühne bewirkt eine automatische Fokussierung auf die künstlerische Darbietung. Auch die Beleuchtungseigenschaften sind angenehm.
Klangliche Klarheit
Danach hat endlich die Musik das gebührende Wort. Mit einer Auftragskomposition beginnt das Programm, Thierry Escaichs (*1965) „Araising Dances“ für großes Symphonieorchester kommt zur Uraufführung. Das Attribut „groß“ darf man hier ruhig wörtlich nehmen, ebenso die Titeleigenschaft „Arising“, vorsichtig abtastendes Pizzicato in Celli und Bässen lässt das sich allmählich instrumental verdichtende Klangbild nach und nach anschwellen. Das ist sicherlich kein kompositorischer Zufall, auf diese Weise wird gleich zu Anfang ein weiterer großer Pluspunkt als Statement gesetzt: Die Verpflichtung von Akustik-Großmeister Yasuhiso Toyota hat sich definitiv bezahlt gemacht, die Klangeigenschaften sind denen des “alten“ Gasteig deutlich überlegen und erschließen ohne Übertreibung neue Dimensionen. Feinste Nuancen sind bestens hörbar, großflächige Klänge breiten sich plastisch raumgreifend aus. Ob perkussive Impulse, Violinsolo oder scharfkantige Blech-Fanfaren, alle musikalischen Formen und Gestalten entfalten ihre volle ungedeckelte Wirkung. Stampfende Rhythmen erzeugen eine tänzerisch-programmatische Sogwirkung. Einer der derzeit prominentesten Solisten wurde mit Daniil Trifonov für die Einweihung gewonnen, zum gleichzeitigen Auftakt einer zyklischen Reihe mit Beethovens Klavierkonzerten nimmt er für das G-Dur-Konzert op. 58 am Flügel Platz.
Unbegrenzte Möglichkeiten
Zu seinen pianistischen Qualitäten braucht man nicht viel zu sagen, schon die exponierten Anfangsakkorde haben die für sein Spiel typische Klarheit und Intensität, die sich in den massierten Oktavfiguren fortsetzt. Seine technisch leichtgängige Perfektion erlaubt ihm, noch mehr Schattierungen und stimmliche Transparenz aus dem Solopart herauszuholen als die meisten anderen. Helles Diskantleuchten in der Oberstimme und spannungsgeladene Präsenz unterstreichen den nachhaltigen Beethoven-Eindruck, den er mit Gergiev und den Philharmonikern schon 2019 am Odeonsplatz mit dem Es-Dur-Konzert op. 73 hinterlassen hatte. Auch wenn man sie schon kennt, kann man jedes Mal über Trifonovs klanglich und technisch unbegrenzten Möglichkeiten staunen. Im Mittelsatz spielt er seine lyrischen Qualitäten aus, mit zielstrebiger Entschlossenheit formt er einen profilscharfen Klavierpart im „Rondo“. Die ausgewogene Balance mit dem Orchester hat sicherlich auch damit zu tun, dass er und Gergiev die Beethoven-Konzerte im Vorfeld schon andernorts gemeinsam aufgeführt haben. Den Bach-Choral „Jesus bleibet meine Freude“ in der Bearbeitung von Myra Hess spielt er als Zugabe fast aufreizend langsam, erzeugt gerade dadurch aber eine gesteigerte, fast andächtige Intensität.
Leuchtende Farben
Nach der Pause folgen Henri Dutilleux´ (1916-2013) „Métaboles“. Auch diese orchestralen „Wechselspiele“ sind prädestiniert, um Klangräume wirkungsvoll abzustecken. Grelle Piccolo-Spitzen, sanfte Streicherwolken und gedämpfte Trompeten kommen hier exemplarisch detailliert zum klanglichen Zug. Gergiev und die Philharmoniker treiben die fünf Abschnitte eindrucksvoll auf die dynamisch-ekstatische Spitze. Rodion Schtschedrin (*1932) wird als im Saal anwesender Teilzeit-Wahlmünchner mit seiner Komposition „Der versiegelte Engel“ für gemischten Chor und Solo-Flöte op. 75 persönlich geehrt. Die eignet sich ebenfalls hervorragend für den Nachweis, wie gut der Saal die vom Philharmonischen Chor München (das Lob für die Einstudierung gebührt Andreas Herrmann) geleistete Feinarbeit transportiert. Michael Martin Kofler liefert einen exzellenten Solopart ab. Die Flötenstimmen können sich anschließend nahtlos im ersten Bild („Lever du jour“) von Ravels zweiter „Daphnis et Chloé“-Suite auszeichnen, Gergiev und die Philharmoniker mischen imposant leuchtende impressionistische Farben an, bis hin zum final galoppierenden, chorisch befeuerten Impetus gelingt ihnen eine fulminante, beeindruckend homogene Interpretation.
Klares Eröffnungs-Fazit: An diesem Saal wird München definitiv seine Freude haben. Die große Frage ist gleichzeitig, welches Schicksal ihn nach Abschluss der Gasteig-Renovierung ereilen wird. Ein ähnliches wie im vergleichbaren Interims-Fall der Tonhalle Zürich, oder wird er der Münchner Kulturlandschaft langfristig unverzichtbar ans Herz wachsen? Man darf gespannt sein – noch viel mehr aber erst einmal auf all die kommenden Konzerte. Bis zur Zukunft danach fließt noch viel Wasser die Isar hinunter.
Kritik von Thomas Gehrig
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Eröffnungskonzert: Gergiev/Trifonov
Ort: Isar-Philharmonie,
Werke von: Ludwig van Beethoven, Henri Dutilleux, Thierry Escaich, Rodion Schtschedrin, Maurice Ravel
Mitwirkende: Valery Gergiev (Dirigent), Münchner Philharmoniker (Orchester), Daniil Trifonov (Solist Instr.)
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