
Antigone (Judith Fa) in der Uraufführung von Hémon, © Klara Beck
Uraufführung von Zad Moultakas Oper 'Hémon'
Gegen patriarchales Gehabe angesungen
Neun geschlossene Klangbilder hat der in Paris lebende 54-jährige Libanese Zad Moultaka für seine am Samstag in der elsässischen Rheinoper in Straßburg uraufgeführte Oper „Hémon“ komponiert. Das eineinhalbstündige Werk wurde in einer intim-konzertanten Version ohne Publikum im französischen Hörfunk-Musiksender „France Musique“ ausgestrahlt.
In ihrem pausenlos gereihten Musikdrama um die Konflikte von Thebens Königssohn Haimon zwischen seinem rigiden Vater Kreon und seiner Braut Antigone greifen Moultaka und sein französischer Librettist Paul Audi auf Sophokles' „Antigone“ zurück. In dieser über 2000 Jahre alten Tragödie figurieren in einer Seitenhandlung tatsächlich Kreon-Sohn Haimon und die humanitär und individuell gesinnte Antigone. Moultaka will mit den Gegensätzen zwischen individueller Menschlichkeit und dynastischer Herrschaftsräson heutigen immer noch virulenten patriarchalen Strukturen in seiner arabischen Heimat etwas entgegen setzen. Insofern hat die „Opéra National du Rhin“ mit diesem Auftakt ihres vierten Arsmondo-Festivals mit dem Widmungsland Libanon (nach Japan 2018, Argentinien 2019 und Indien 2020) in eine brisante Situation hinein geleuchtet.
Moultaka, der auch grafische Installationen produziert und seinen „Hémon“ auch gerne inszeniert und ausgestattet hätte, zeigt sich auch in der Beschränkung aufs rein Musikalische als Maler, Klangbildner und Illustrator der tragischen Geschehnisse. Die Wandlung Haimons vom hoffnungsfrohen Prinzen zum entsagenden Herrscher-Nachfolger wird sängerisch in der wechselnden Stimmlage von baritonaler Fülle zum ruhig-schlichten Falsett des Counters ausgedrückt. Diese Wandlung vermag der im Londoner Monteverdi-Chor bei Sir John Eliot Gardiner ausgebildete Italiener Raffaele Pe bruchlos zu realisieren.
König Kreon ist im bellenden, kurzmetrigen Befehlsgestus gehalten, den der Grieche Tassis Christoyannis kraftvoll mobilisiert. Erst in der Auseinandersetzung mit der energischen Eurydike (resolut und entschlossen Béatrice Uria-Monzon) gerät Kreon in nachdenkliche Milde: Eine der stärksten Szenen dieser Uraufführung im achten ihrer neun Abschnitte. Die sich in Moultaka-Audis Fassung totbringend in eine Grotte stürzende Antigone ist in flehender Expressivität gehalten, die Judith Fa voller Inbrunst singt.
Ensemblesätze sind selten, meist hört man auf Dauer doch ermüdende rezitativische Solo-Tonfolgen. In seinem oft metallisch leuchtenden Orchester lässt Moultaka die innere Unruhe seiner tragisch verwickelten Personen in bedrohlich tickenden und motorisch tremolierenden Figuren aufklingen. Die Tonalität verlässt Moultaka lediglich bei Antigones Tod. Die konfliktgeladenen Zuspitzungen tönen in sirenenartigen Blech-Stössen auf. Dagegen dauern manche unbegleitete Gesangsszenen zu lange.
Der altgriechischen Vorlage entspricht auch der lautmalerisch das Geschehen kommentierende Chor: Mit elegischen Lamenti bei Antigones Todessprung und mit dramatischer Mehrchörigkeit beim Aufruhr unter Thebens Bürgern. Der polnisch-libanesisch-stämmige Dirigent Bassem Hakiki leitete den teils in verdeckt-abgedämpftem Sprechgesang kommentierenden, von Alessandro Zuppardo sorgfältig vorbereiteten Rheinopernchor und das in fanalartiger Deutlichkeit aufspielende „Orchestre Philharmonique de Strasbourg“ voller Umsicht und Plastizität.
Kritik von Prof. Kurt Witterstätter
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